Verr�ter wie wir
dürfen, und wenn dazu eine Prise Gefahr winkte, umso besser!
Nur ein Gleichgesinnter hatte gefehlt, der zum Gefecht blies: Auftritt Hector, charmant, witzig, täuschend entspannt. Der ewige Streiter, so sah ihn Gail, der Prototyp des gerechtigkeitsbesessenen Mandanten, der mit allen Mitteln beweisen will, dass das Land, auf dem die Westminster Abbey erbaut ist, ihm gehört. Und wenn sich ihre Kanzlei hundert Jahre mit dem Fall herumschlug, würde der Beweis wahrscheinlich erbracht und er würde vor Gericht Recht erhalten. Aber die Abtei würde nach wie vor stehen, wo sie war, und das Leben würde weitergehen wie gehabt.
Und Luke? Nun, soweit es Perry betraf, war Luke einfach Luke, ein tüchtiger Helfer, keine Frage, umsichtig, erfahren, professionell. Dennoch hatte es Perry zugegebenermaßen beruhigt zu wissen, dass Luke nicht der Teamleiterwar, wie sie zunächst gedacht hatten, sondern Hectors Adlatus. Und da Hector in Perrys Augen nicht irren konnte, war dies unzweifelhaft der rechte Platz für Luke.
Gail war sich da nicht so sicher. Je näher sie Luke in diesen zwei Einarbeitungswochen kennengelernt hatte, desto mehr erschien er ihr – trotz seines Augenzuckens und seiner überfeinen Manieren, trotz der Sorgenknitter, die über sein Gesicht huschten, wenn er dachte, dass niemand es sah – als der Verlässlichere der beiden, und Hector mit seinen kühnen Zusicherungen, seiner Lästerzunge, seiner überwältigenden Überredungsgabe als der unsichere Kandidat.
Dass Luke außerdem verliebt in sie war, überraschte sie weder, noch irritierte es sie. Die Männer verliebten sich ständig in sie. Es hatte etwas Beruhigendes, zu wissen, wie ihre Gefühle gelagert waren. Dass Perry davon nichts merkte, überraschte sie ebenso wenig. Auch seine Dickfelligkeit hatte etwas Beruhigendes.
Nein, was ihr unheimlich war, das war die Passion, mit der Hector zu Werke ging, dieses Missionarische an ihm – eben das, was Perry so faszinierte.
»Ich muss ja erst noch zeigen, was in mir steckt«, hatte Perry gesagt, in dem beiläufig-selbstbezichtigenden Ton, den er gern einmal anstimmte. »Hector ist vom Leben geformt « – diese Auszeichnung, um die ihm selbst so zu tun war und die er nur so zögernd verlieh.
Hector als die vollendete, geformte Version von Perry? Hector, der Macher, der in die Tat umsetzte, wovon Perry immer nur sprach? Nun, wer kämpfte denn jetzt an vorderster Front? Perry. Und wer besorgte das Reden? Hector.
* * *
Aber Perry stand ja nicht nur im Banne Hectors, er stand auch in Ollies Bann. Perry, der so stolz auf seinen untrüglichen Blick dafür war, wer am Seil etwas taugte und wer nicht,war wie Gail aus allen Wolken gefallen, dass der ungeschlachte, unsportliche Ollie mit seiner tuntenhaften Art und seiner Abgehobenheit und seinem Ohrring und dem verschütteten fremdländischen Akzent, den Gail nicht zuordnen konnte und den zu hinterfragen sie zu wohlerzogen war, sich als begnadeter Pädagoge entpuppte, als ein akribischer, eloquenter Lehrmeister, bei dem jede Lektion Spaß machte und jede Lektion saß.
Dass darüber ihre kostbaren Wochenenden draufgingen, dass es nicht selten spätabends nach einem harten Tag in der Kanzlei oder bei Gericht war, dass Perry in Oxford ätzenden Zeugnisverleihungszeremonien beiwohnen, sich von seinen Studenten verabschieden, seine Wohnung ausräumen musste – egal. Ollie verzauberte sie binnen Sekunden, ob sie in ihrem Kellerloch schwitzten oder in einem belebten Café in der Tottenham Court Road saßen, mit Luke draußen auf dem Gehsteig und dem baskenbemützten Ollie in seinem Taxi, um die Spielsachen aus Ollies schwarzem Museum durchzuprobieren, all die Füller, Blazerknöpfe und Krawattennadeln, die lauschten, übermittelten, aufnahmen oder alles drei. Für die Dame bot sich Modeschmuck an.
»Na, was davon lacht uns am meisten an, Gail?«, hatte Ollie gefragt, als sie ausstaffiert werden sollte. Und als sie sagte: »Wenn Sie’s genau wissen wollen, Ollie, ich finde sie alle zum Fürchten«, waren sie postwendend zu Liberty’s marschiert, um etwas auszusuchen, das sie eher anlachte.
Dabei ging die Wahrscheinlichkeit, dass sie jemals von Ollies Schätzen Gebrauch machen mussten, gegen null, wie er geflissentlich betonte:
»Es fiele Hector ja nicht im Traum ein, Sie auch nur in die Nähe zu lassen, wenn’s ernst wird, Schätzchen. Es ist rein für den Fall der Fälle. Nur falls Sie urplötzlich etwas Weltbewegendes mitbekämen, mit dem keiner von uns
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