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Verr�ter wie wir

Titel: Verr�ter wie wir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carr�
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Boden zurückzuholen.
    »Alles bestens«, schreit sie ihm ins Ohr. »Du hast dich super geschlagen! Du warst ein Star! Und klasse Plätze! Hast du toll gemacht!«
    »Du auch! Dima sah gut aus.«
    »Sehr gut. Aber die Kinder sind schon in Bern!«
    »Was?«
    »Tamaraund die kleinen Mädchen sind schon in Bern! Natascha auch! Ich hätte gedacht, sie bleiben alle zusammen.«
    »Ich auch.«
    Aber seine Enttäuschung ist auf einer anderen Ebene angesiedelt als ihre.
    Napoleons Kapelle macht einen Heidenlärm. Ganze Regimenter könnten dazu marschieren und nie wiederkehren.
    »Er scheint ja ganz wild auf eine zweite Partie mit dir, du Ärmster!«, ruft Doolittle.
    »Ist mir auch aufgefallen!« Nachdrückliches Nicken und Lächeln von Milton.
    »Hast du morgen denn Zeit?«
    »Keine Chance. Alles dicht«, erwidert Milton mit stahlhartem Kopfnicken.
    »Hab ich schon befürchtet. Knifflig.«
    »Sehr«, bekräftigt Milton.
    Blödeln sie einfach herum, oder hat die Furcht des Herrn sie ergriffen? Gail zieht seine Hand an die Lippen und küsst sie, und dann schmiegt sie ihre Wange daran, denn ohne es zu ahnen, hat er sie fast zu Tränen gerührt.
    Dass er ausgerechnet diesen Tag seines Lebens nicht unbeschwert genießen darf! Federer im Finale des French Open zu sehen, das ist für Perry, als tanzte Nijinski den Nachmittag eines Fauns . Wie vielen seiner Lektionen hat sie nicht schon gelauscht, wenn sie aneinandergekuschelt in Primrose Hill vor dem Fernseher saßen: Lektionen zum Thema Federer, diesem vollendeten Athleten, der Perry so gern wäre – Federer, der vollendete, der geformte Mann, Federer, der Läufer als Tänzer , der seinen Schritt bald verkürzt, bald verlängert, um den fliegenden Ball so zu erwischen, dass er ihm diesen winzigen, schwebenden Sekundenbruchteil abringen kann, den er braucht, um Tempo und Winkel zu vervollkommnen – das Gleichmaß, mit demer den Oberkörper bewegt, rückwärts, vorwärts, seitwärts – sein übernatürliches Ahnungsvermögen, das in Wahrheit gar nicht übernatürlich ist, Gail, sondern der Gipfel der Koordination von Auge, Körper und Hirn.
    »Ich will, dass du das Spiel so richtig genießt«, schreit sie ihm ins Ohr wie eine Abschiedsbotschaft. »Kümmer dich sonst um gar nichts. Ich liebe dich – ich hab gesagt, ich lieb dich, du Idiot!«
    * * *
    In aller Unschuld mustert sie die Zuschauer in ihrer Umgebung. Zu wem gehören sie? Dima? Dimas Feinden? Hector? Wir sind barfuß unterwegs.
    Links von ihr sitzt eine Blondine mit grimmig vorgeschobenem Unterkiefer und einem Schweizer Kreuz auf ihrem Papierhütchen sowie einem zweiten auf der gut gefüllten Bluse.
    Rechts von ihr ein ältlicher Pessimist mit Regenhaube und Regencape, bestens geschützt gegen die Tropfen, die alle anderen geflissentlich ignorieren.
    In der Reihe hinter ihnen singt eine Frau mit ihren Kindern voll Inbrunst die »Marseillaise«, vielleicht in der irrigen Annahme, dass Federer Franzose ist.
    Mit der gleichen Ungeniertheit lässt Gail die Blicke über die Menge auf den Rängen gegenüber schweifen.
    »Suchst du irgendwen Bestimmtes?«, ruft Perry ihr ins Ohr.
    »Nicht so richtig. Ich dachte, Barry ist vielleicht hier.«
    »Barry?«
    »Einer von unseren Juniorpartnern!«
    Sie redet Unsinn. Zwar gibt es bei ihr in der Kanzlei einen Partner namens Barry, aber er verabscheut Tennis, und er verabscheut die Franzosen. Sie hat Hunger. Nicht genug, dass sie ihren Kaffee im Musée Rodin stehenlassen haben:Sie haben vergessen, zu Mittag zu essen. Es ist wie in dem Roman von Beryl Bainbridge, in dem die Gastgeberin eines konfliktträchtigen Dinners vergisst, wo sie den Nachtisch gelassen hat. Sie will Perry an dem Scherz teilhaben lassen und ruft ihm zu:
    »Wann war das letzte Mal, dass wir zwei allen Ernstes das Mittagessen vergessen haben?«
    Doch ausnahmsweise ist die literarische Anspielung an Perry verschwendet. Er starrt auf eine Reihe von Panoramafenstern ihnen gegenüber, auf halber Höhe der Osttribüne. Durch Rauchglas sind weiße Tischtücher und geschäftige Kellner zu erkennen, und er überlegt bestimmt, welches Fenster zu Dimas VIP -Lounge gehören mag. Sie spürt wieder Dimas Arme, die sich um sie schlingen, und sein Gemächt, das ihr in kindlicher Arglosigkeit gegen den Oberschenkel drückt. Ob die Wodkadünste von gestern Abend stammten oder von heute früh? Sie fragt Perry.
    »Er muss seinen Normalpegel erreichen«, antwortet der.
    »Was?«
    »Seinen Nor-mal-pe-gel.«
    * * *
    Die napoleonischen

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