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Verr�ter wie wir

Titel: Verr�ter wie wir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carr�
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Truppen sind vom Schlachtfeld geflohen. Eine geladene Stille tritt ein. Eine Überkopfkamera gleitet an ihren Stahlseilen über einen hässlich schwarzen Himmel. Natascha. Ist sie nun, oder ist sie nicht? Warum hat sie mir nicht mehr geantwortet? Weiß Tamara Bescheid? Hat sie sie deshalb im Hauruckverfahren nach Bern verfrachtet? Nein. Natascha fällt ihre eigenen Entscheidungen. Natascha ist nicht Tamaras Kind. Und Tamara ist weiß Gott niemands Traum von einer Mutter. Kurze SMS an Natascha?
    Habengrade deinen Vater getroffen, Endspiel Federer. UND??? xx Gail
    Besser nicht.
    Beifall brandet los. Erst Robin Söderling, dann Roger Federer, der so kleidsam bescheiden und selbstsicher auf den Platz kommt, wie nur Gott es kann. Perry hat den Hals vorgereckt, seine Lippen sind zusammengepresst. Er ist im Stand der Gnade.
    Aufwärmzeit. Federer verpatzt zwei, drei Rückhände, Söderling spielt mit Vorhand zurück, ein bisschen zu angriffslustig für ein friedliches Geplänkel. Federer probiert ein paar Aufschläge, für sich. Söderling probiert ein paar Aufschläge, ebenfalls für sich. Warm spielen vorbei. Ihre Jacken fallen von ihnen ab wie die Scheide von einem Schwert. In der hellblauen Ecke Federer, mit einem dunkelblauen Häkchen überm Herzen und einem roten auf dem Stirnband. In der weißen Ecke Söderling mit neongelben Streifen an Ärmeln und Shorts.
    Perrys Blick wandert zurück zu den getönten Fenstern, also schaut Gail auch hin. Ist das ein cremefarbener Blazer mit goldenem Anker auf der Tasche, der da durch den bräunlichen Nebel hinter dem Glas gleitet? Wenn es je einen Mann gab, mit dem man auf gar keinen Fall die Rückbank eines Taxis teilen sollte, dann ist das Signor Emilio Dell’Oro, möchte sie Perry ans Herz legen.
    Aber still jetzt: Das Match hat begonnen, und zum Jubel der Menge, wenn auch zu plötzlich für Gail, hat Federer Söderling den Aufschlag abgenommen und seinen eigenen durchgebracht. Jetzt ist wieder Söderling am Zug. Ein hübsches Ballmädchen mit blondem Pferdeschwanz reicht ihm einen Ball, knickst und trollt sich. Der Linienrichter heult auf, als hätte ihn etwas gestochen. Neuer Regen setzt ein. Doppelfehler von Söderling; Federers Triumphmarsch zum Sieg hat begonnen. Auf Perrys Gesicht leuchtet schlichteEhrfurcht, und Gail merkt, dass sie sich gerade wieder ganz neu in ihn verliebt: in seine unaufgeregte Couragiertheit, seinen eisernen Willen, das Rechte zu tun, selbst wenn es falsch ist, seine unbeirrbare Loyalität und seinen kompletten Mangel an Selbstmitleid. Sie ist seine Schwester, Freundin, Beschützerin.
    Ihn muss ein ähnliches Gefühl überkommen haben, denn er greift nach ihrer Hand und behält sie in seiner. Söderling will den Titel erringen. Federer will Geschichte schreiben, und Perry ist dabei. Federer hat den ersten Satz 6 zu 1 gewonnen. Er hat dafür keine halbe Stunde gebraucht.
    * * *
    Die Franzosen sind wirklich extrem angenehme Zuschauer, empfindet Gail. Federer ist ihr Held, so wie er Perrys Held ist. Aber sie versäumen es kein einziges Mal, auch Söderling zu applaudieren, wenn ihm Applaus gebührt. Und Söderling ist dankbar dafür, und er zeigt es. Er spielt auf Risiko, was bedeutet, dass ihm Fehler unterlaufen, und auf Federers Konto geht bisher nur einer. Um ihn auszugleichen, spielt er, drei Meter hinter der Grundlinie stehend, einen tödlichen Stoppball.
    Wenn Perry wahrhaft großes Tennis sieht, dann beginnt er auf einer höheren, reineren Ebene zu funktionieren. Nach nur wenigen Schlägen kann er genau sagen, wie ein Ballwechsel verlaufen wird und wer ihn dominiert. Gail kann das nicht. Sie hält den Ball lieber flach: Draufhauen und dann schauen, was passiert, das ist ihre Devise. Auf dem Niveau, auf dem sie spielt, fährt sie damit prächtig.
    Aber plötzlich sieht Perry nicht mehr dem Spiel zu. Er sieht auch nicht hinüber zu den Rauchglasfenstern. Er ist aufgesprungen und drängt sich vor Gail, wie um sie abzuschirmen, und dazu brüllt er »Das gibt’s doch nicht!«, ohne jede Hoffnung auf Antwort.
    AuchGail stellt sich hin, was nicht einfach ist, denn inzwischen stehen alle und schreien »Das gibt’s doch nicht«, auf Französisch, Schweizerdeutsch, Englisch oder in welcher Sprache der Geist sie eben bewegt, und ihre erste Erwartung ist es, zu Federers Füßen ein Paar toter Fasane liegen zu sehen: ein Doppeltreffer. Das kommt daher, dass sich der Lärm dieses kollektiven Aufspringens für sie mit dem panischen Flügelknattern

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