Verr�ter wie wir
aufgeschreckter Vögel verbindet, die in die Luft steigen wie veraltete Flugzeuge, nur um von Gails Bruder und seinen reichen Freunden heruntergeholt zu werden. Ihr zweiter, ebenso aberwitziger Gedanke ist, dass irgendjemand, im Zweifel Niki, Dima erschossen und durch die Rauchglasscheibe gestoßen hat.
Aber der dünne Mensch, der wie ein zerrupfter roter Vogel an Federers Ende des Platzes aufgetaucht ist, ist nicht Dima, und er ist alles andere als tot. Er trägt die rote Mütze, die Madame Guillotines Herz erfreut, und dazu lange blutrote Strümpfe. Um seine Schultern flattert ein blutroter Umhang, und er steht da und redet auf Federer ein, gleich hinter der Grundlinie, von der aus Federer aufgeschlagen hat.
Federer wirkt ein bisschen ratlos – der Mann ist eindeutig ein Fremder –, aber er bewahrt seine artigen Platzmanieren, auch wenn er eine Spur brummig scheint, ein Schweizer Grant, der uns daran erinnert, dass seine gerühmte Rüstung doch auch ihre Sprünge hat. Schließlich ist er hier, um Geschichte zu schreiben, nicht um sich die Zeit mit einem dürren Kerl im roten Gewand um die Ohren zu schlagen, der zu einem kleinen Plausch auf den Platz gestürmt kommt.
Aber was immer sich zwischen ihnen abgespielt hat, ist zu Ende, und der Mann im roten Gewand flitzt mit fliegenden Schößen und Ellbogen davon in Richtung Netz. Ein Trupp fußlahmer Herren im schwarzen Anzug nimmt die Verfolgung auf, und die Menge macht keinen Mucks mehr:Sie haben Sportsgeist, und das hier ist Sport, wenn auch keiner erster Ordnung. Der Mann im roten Gewand setzt übers Netz, aber nicht sauber genug; er nimmt ein paar Maschen mit. Und das Gewand ist keins mehr. Es war auch nie eines. Es ist eine Fahne. Zwei weitere Schwarzröcke sind auf der anderen Seite des Netzes erschienen. Die Fahne ist die spanische Nationalflagge – L’Espagne –, wenn auch nur laut Aussage der Frau, die die »Marseillaise« gesungen hat, und ihr widerspricht heftig ein heiserer Mann mehrere Reihen weiter hinten, der darauf besteht, dass sie le Club Football de Barcelona gehört.
Einer der Schwarzröcke ringt den Fahnenmann schließlich mit einer Art Rugby-Griff nieder. Zwei weitere stürzen sich auf ihn und zerren ihn in die dunkle Mündung eines Tunnels. Gail starrt in Perrys Gesicht, das bleicher ist, als sie es jemals erlebt hat.
»Gott, war das knapp«, flüstert sie.
Knapp inwiefern? Was meint sie? Perry nickt. Ja, sehr knapp.
* * *
Gott schwitzt nicht. Federers hellblaues Hemd ist blitzsauber bis auf eine einzelne Bremsspur zwischen den Schulterblättern. Seine Bewegungen wirken einen Hauch weniger fließend, aber ob das am Regen liegt, an dem klumpenden Sand oder dem Nerventribut, den der Flitzer gefordert hat, muss dahingestellt bleiben. Die Sonne ist jetzt ganz verschwunden, rund um den Platz werden Regenschirme aufgespannt, irgendwie steht es 3 zu 4 im zweiten Satz, Söderling holt auf, und Federer sieht ein bisschen bedrückt aus. Er will doch nur Geschichte schreiben und dann heimkehren in seine geliebte Schweiz. Und, o weh, es geht ins Tie-Break – das aber nicht lange währt, denn Federers Bälle kommen nun Schlag auf Schlag, so wie die von Perry manchmalauch, nur doppelt so schnell. Es ist der dritte Satz, und Federer hat Söderling den Aufschlag abgenommen, er hat wieder perfekt zu seinem Rhythmus gefunden, und der Flitzer mit seiner Fahne hat doch nicht gesiegt.
Weint Federer, bevor er überhaupt gewonnen hat?
Und wenn schon. Jetzt hat er gewonnen. So einfach und unspektakulär ist das. Federer hat gewonnen, und er darf sich die Augen ausweinen, und auch Perry blinzelt eine Männerträne weg. Sein Idol hat Geschichte geschrieben, so wie es sein Plan war, und alle sind aufgestanden und spenden dem Helden Beifall, und Niki, der milchgesichtige Leibwächter, schiebt sich die Reihe der Jubelnden entlang auf sie zu; das Klatschen ist zu einem rhythmischen Trommeln geworden.
»Hab Sie in Antigua zurück zum Hotel gebracht. Sie wissen, ja?«, sagt er mit dem Anflug eines Lächelns.
»Hallo, Niki«, sagt Perry.
»Schönes Spiel, ja?«
»Sehr schön«, sagt Perry.
»Guter Mann, ja? Federer?«
»Großartig.«
»Sie gehen mit zu Dima?«
Perry sieht zweifelnd zu Gail hin: Jetzt mal du .
»Wir sind offen gestanden ein bisschen in Zeitnot, Niki. Wir haben einfach dermaßen viele Leute in Paris, die wir noch treffen müssen.«
»Sie wissen was, Gail?«, erkundigt sich Niki traurig. »Wenn Sie nicht kommen, ich glaub, Dima schneidet
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