Verr�ter wie wir
Ambrose meinte, Sie wären alle zusammen nach Moskau gefahren? Stimmt das, waren Sie dort? Für die Beerdigung? Sie sehen so wohl aus. Wie geht’s Tamara? Wie geht’s diesen ganzen sonderbaren, reizenden Freunden und Verwandten, die Sie zu Besuch hatten?«
Hat sie dies Letzte wirklich gesagt? Sie hat. Und während sie es alles sagt und dazwischen bruchstückhaft Antwort erhält, nimmt sie, weichgezeichnet am Bildrand, flott angezogene Männer und Frauen wahr, die stehen geblieben sind, um dem Spektakel beizuwohnen: offenbar ein neuer Dima-Fanclub, aber eine jüngere, smartere Generation, Welten entfernt von dem bemoosten Haufen, der in Antigua versammelt war. Ist das dort Milchgesicht Niki, der sich zwischen ihnen herumdrückt? Wenn, dann hat er sich bei Armani neu eingekleidet, in einem beigefarbenen Sommeranzug mit Ärmelaufschlägen. Sind darunter das Kettenarmband und die Tiefseetaucheruhr verborgen?
Dima redet weiter, und sie erfährt, was sie lieber nicht erführe: Tamara und die Kinder sind von Moskau direkt nach Zürich geflogen – ja, Natascha auch, sie mag nicht gottverdammtes Tennis – will heim nach Bern, will lesen, reiten. Will ausspannen. Klang auch durch, dass Natascha letztens nicht ganz auf dem Posten war, oder bildet sich Gail das nur ein? Alle führen sie drei Gespräche gleichzeitig:
»Bist du nicht mehr Professor für gottverdammte Kids, ja?« – gespielte Entrüstung – »Lernst du französische Kids, wie sie werden englischer Gentleman? Hör zu, wo sitzt ihr? In so ein Drecks-Vogelkäfig ganz oben, ja?«
Darauf eine über die Schulter geworfene Bemerkung auf Russisch, vermutlich derselbe kleine Witz in Übersetzung. Dem scheint das jedoch nicht gutzutun, denn kaum einer der gestylten Zuschauer lächelt, bis auf eine adrettekleine Tänzergestalt ganz in der Mitte. Im ersten Moment wirkt der Mann auf Gail wie eine Art Reiseleiter, denn er trägt eine sehr auffallende cremefarbene Seemannsjacke mit gesticktem goldenem Anker auf der Tasche, und in der Hand einen leuchtend roten Schirm, der ihn, gepaart mit der zurückgeworfenen Silbermähne, für jedes verlorene Schaf leicht zu finden macht. Sie fängt sein Lächeln auf, dann seinen Blick. Und als sie wieder zu Dima zurückschaut, weiß sie, dass sein Blick immer noch auf ihr ruht.
Dima verlangt jetzt ihre Eintrittskarten zu sehen. Perry ist ein notorischer Kartenverlierer, deshalb hat Gail sie einstecken. Sie weiß die Platznummern auswendig, Perry ebenso. Aber das heißt nicht, dass sie sie nun parat hätte oder dass sie nicht holdselig-vage dreinschauen kann, als sie die Karten Dima hinstreckt, der ein Hohnschnauben ausstößt:
»Ihr habt Fernglas, ja, Professor? So scheißhoch oben ist das, braucht ihr Sauerstoff!«
Auch diesmal wiederholt er seinen Witz auf Russisch, und auch diesmal scheint die Gruppe der hinter ihm Stehenden eher zu warten, als zuzuhören. Ist diese Kurzatmigkeit neu seit Antigua? Oder neu seit heute? Kommt sie vom Herzen? Oder vom Wodka?
»Wir haben gottverdammtes VIP -Lounge, okay? Firma- VIP . Für Besuch aus Moskau, Firma-Besuch. Armani-Gang, so sag ich von ihnen. Aber mit hübsche Mädels dabei! Schaut sie an!«
Zwei davon sind Gail schon aufgefallen. Lederjacken, Bleistiftröcke und Stiefeletten. Hübsche Ehefrauen? Oder hübsche Nutten? Wenn Letzteres, dann die Nobelausführung. Und die Armani-Gang eine verschwommene Front blauschwarzer Anzüge und dumpfer Blicke.
»Dreißig Nummer-Eins-Plätze, Top-Super-Essen«, ruft Dima. »Wollen Sie kommen, Gail? Mit in VIP -Lounge sitzen?Match anschauen wie feine Dame? Mit Champagner? Haben wir Massen. Also, Professor? Warum nicht, Teufel, Mann?«
Weil Hector ihm eingeschärft hat, dass er es dir schwermachen soll, Teufel, Mann! Denn je schwerer er es dir macht, desto mehr musst du dich ins Zeug legen, um ihn und mich rumzukriegen, und desto mehr Glaubwürdigkeit besitzen wir für deine Gäste aus Moskau. Perry, in die Enge getrieben, brilliert als er selbst: stirnrunzelnd, reserviert, linkisch. Für einen blutigen Anfänger in der Kunst der Verstellung schlägt er sich sehr wacker. Trotzdem kommt sie ihm lieber zu Hilfe:
»Die Karten waren ein Geschenk, verstehen Sie, Dima«, vertraut sie ihm liebreizend an und berührt seinen Arm. »Ein guter Freund hat sie uns gegeben, ein ganz lieber alter Herr. Einfach aus Nettigkeit. Es wäre ihm sicher nicht recht, wenn unsere Plätze leer bleiben, meinen Sie nicht? Es würde ihm das Herz brechen, wenn er es erfahren
Weitere Kostenlose Bücher