Verruchte Begierde: Roman (German Edition)
den mit einem Teppich ausgelegten Flur im zweiten Stock hinunterschlurfte, wo von all dem Treiben und dem Lärm der Redaktion nichts mehr zu hören war.
Als sie aus dem Restaurant gekommen war, hatte sie sich grässlicher als je zuvor gefühlt. Sie kannte sich selbst einfach nicht mehr. Die alte Kari Stewart hätte sich niemals so schlecht benommen, hätte niemals einen derart boshaften und unhöflichen Satz geäußert, nicht mal gegenüber ihrem allerschlimmsten Feind.
Was war nur mit ihr los? Sie hatte das Gefühl, wie wenn sich die alte Kari jeden Tag ein bisschen mehr in ihre Einzelteile auflöste, sie sie nicht wieder zusammenbekäme und bald nicht mehr als sie selber zu erkennen sein würde. Diese Vorstellung machte ihr Angst.
Warum nur hatte sie nicht auf Pinkie gehört? Er hatte recht gehabt. Sie hatte sich zum Ziel gesetzt, einen Menschen zu zerstören, und zerstörte dabei hauptsächlich sich selbst.
»Ich glaube, ich kann mir denken, weshalb er uns sprechen will«, erwiderte sie so leise, dass er sie kaum verstand.
Pinkie machte halt und sah sie an. »Erzähl du es mir. Ich höre es lieber erst von dir.«
Nachdem sie mit ihrem Bericht geendet hatte, brachte ihr der alte Freund jede Menge neuer Flüche bei. »Was zum Teufel hast du dir dabei gedacht?«, schrie er sie an.
Sie wich vor seinem Zorn zurück. »Ich habe gar nicht nachgedacht. Ich habe nur …«
»Heb dir die Erklärungen am besten auf. Du wirst sie nämlich brauchen«, schnauzte er und zerrte sie ins Vorzimmer des Chefs.
Die Sekretärin führte sie ins Allerheiligste und machte diskret die Tür hinter den beiden zu. Neben dem Geschäftsführer des Senders waren auch noch der Verkaufsleiter sowie der Präsident des Unternehmens da. Keiner der drei hatte ein Lächeln im Gesicht.
»Bitte setzen Sie sich«, forderte der Geschäftsführer sie auf. »Ich habe heute einen Telefonanruf von einem alten Freund bekommen und konnte kaum glauben, was er mir erzählt hat. Ich kann nur für Sie hoffen, Ms Stewart, dass er das, was Sie beim Mittagessen zu unserem Bezirksstaatsanwalt gesagt haben, falsch verstanden hat.«
Sie fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen, sah Pinkie entschuldigend an und schüttelte den Kopf. »Das hat er nicht.«
Pinkie dachte, er wäre allein, als er den versteckten Flachmann aus der untersten Schublade von seinem Schreibtisch zog. Er nahm einen möglichst großen Schluck, wischte sich den Mund mit dem Handrücken
ab, hob den Kopf und sah, dass Kari in der Tür des Zimmers stand. Nach Ende der Zehn-Uhr-Nachrichten waren alle anderen heimgegangen, und die Redaktion war menschenleer.
»Lass nicht zu, dass sie mir das antun, Pinkie.«
Er hatte sie nicht mehr gesehen, seit sie das Büro des Geschäftsführers verlassen hatten, weil sofort nach seiner Rückkehr in die Redaktion die nächste Krise über ihn hereingebrochen war. Es hatten neunzig Sekunden Material für die Sechs-Uhr-Sendung gefehlt. Sollten sie die Story über den blinden Schreibmaschinenlehrer bringen oder lieber die über die schwangere Elefantenkuh im Zoo?
Er hatte diesen und die unzähligen anderen Brände, die es im Verlauf der Produktion einer Nachrichtensendung gab, gelöscht, sich dabei aber die ganze Zeit gefragt, wohin Kari sich verkrochen haben mochte, um ihre Wunden zu lecken, ohne dass es jemand mitbekam. Wo auch immer sie gewesen war, waren ihr die Tränenspuren noch deutlich anzusehen.
Er hielt ihr den Flachmann hin, doch sie schüttelte den Kopf, während sie sich müde auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch fallen ließ. Also nahm er einfach selbst noch einen Schluck, schraubte den Behälter wieder zu und legte ihn zurück in sein Versteck.
»Das hast du dir selber angetan, Kari.« Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Ich habe dich gewarnt, aber du hast ja nicht auf mich gehört.«
»Ich werde mich bei ihm entschuldigen, wenn’s sein muss, öffentlich.«
»Das solltest du auf alle Fälle tun. Trotzdem werden
sie es sich nicht noch mal anders überlegen. Sie sind total sauer auf dich. Und das sollten sie auch sein. Für das, was du zu diesem Mann gesagt hast, gibt es einfach keine Entschuldigung.«
»Also gut. Ich gebe zu, ich habe einen Fehler gemacht.« Sie unterdrückte einen Schluchzer. »Aber mich deshalb für drei Monate zu suspendieren! Ist das nicht ein bisschen hart? Ich dachte, vielleicht schicken sie mich für ein, zwei Wochen heim. Und jetzt gleich drei Monate! Das werde ich nicht überleben, Pinkie. Mein
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