Verruchte Lady
durch das alte Steintor. Noch ein Clarington-Balg. Als hätte er nicht bereits genug von den Angehörigen dieser Sippe.
Sie hatte wirklich Nerven, wenn sie mit ihm ihre Spielchen trieb, dachte er. Dachte sie etwa, sie könne in die Fußstapfen ihrer Schwester treten? Glaubte sie, sie könne sich gefahrlos mit ihm amüsieren?
»Verdammt.«
Gabriel marschierte am Rand der Klippen entlang und starrte hinaus auf das tosende Meer. Das Verlangen, das in seinem Inneren entbrannt war, war heißer denn je. Er würde die verschleierte Lady haben, das schwor er sich. Ja, er würde sie haben. Aber zu seinen Bedingungen.
Wie konnte sie es nach allem, was ihre Familie ihm angetan hatte, wagen, derartige Ränke zu schmieden? War sie wirklich so leichtsinnig oder so arrogant? Die Enttäuschung und der Zorn, den er vor acht Jahren verspürt hatte, brandeten in ihm auf, als sei alles erst gestern gewesen.
Aber es war nicht gestern gewesen, dachte er grimmig. Er war nicht mehr der idealistische, arme Narr, der er damals gewesen war. Lady Phoebes Vater würde sie dieses Mal nicht so schützen können, wie er seine andere Tochter vor acht Jahren beschützt hatte.
Die verschleierte Lady war in größerer Gefahr, als sie dachte. Genau wie ihre Familie.
Der Reichtum, den Gabriel in der Südsee erworben hatte, übertraf noch den der Claringtons. Und er war mit einem Titel verbunden, der ebenso viel wert war wie der der Claringtons. Und das Geld und der Titel gaben ihm Macht. Große Macht.
Natürlich hatte die verschleierte Lady keine Ahnung von seinem Vermögen. Niemand wußte etwas davon. Er war der besseren Gesellschaft ebenso unbekannt wie den Lesern seines Romans.
Lady Phoebe Layton wollte seine Hilfe. Gabriel ballte die Hand zur Faust. Also gut, sie würde seine Hilfe bekommen. Und der Preis, den sie dafür zu bezahlen hätte, würde wirklich hoch sein.
Er würde sie benutzen, um Clarington für alles, was vor acht Jahren passiert war, zu bestrafen.
Kapitel 5
Die Marquise von Trowbridge machte einen feinen Stich in den Saum eines Musselinkleides. »Weißt du, Phoebe, du brauchst dich Lord Kilbourne gegenüber nicht so kühl zu geben. Ich bin sicher, daß er bald um deine Hand anhalten wird. Du darfst ihn ruhig etwas ermutigen. Niemand wird dich deswegen für dreist halten.«
Phoebe schenkte sich noch eine Tasse Tee ein und verzog das Gesicht. Ihre Schwester bemerkte es nicht. Meredith konzentrierte sich viel zu sehr auf die Blume, die sie auf das niedliche Kleid ihrer Tochter stickte.
Nicht zum ersten Mal kam Phoebe der Gedanke, daß jeder, der Meredith sah, sie für den Inbegriff einer tugendhaften Ehefrau und Mutter halten müßte. Und das stimmte auch. Meredith war ein Ausbund an Tugend. Aber nur wenige Menschen, die nicht zum engsten Familienkreis gehörten, wußten etwas von dem erstaunlichen Geschäftssinn, der unter der atemberaubenden, perfekten Fassade verborgen lag. Meredith war nicht nur eine hingebungsvolle Ehefrau und Mutter, sondern sie beriet zugleich ihren Mann bei vielen seiner Investitionen.
Phoebes gesamte Familie hatte eine Vorliebe für Zahlen. Ihr Vater, der Graf, war Mathematiker. Er wandte die mathematischen Prinzipien sowohl auf seine Investitionen als auch auf seine wissenschaftlichen Experimente an. Ihr Bruder Anthony, Vicomte Oaksley, hatte die Fähigkeiten seines Vaters geerbt. Er kümmerte sich inzwischen um das Clarington-Imperium, so daß der Graf genug Zeit für seine Forschung hatte.
Phoebes Mutter Lydia, Lady Clarington, hatte ebenfalls Talent für Zahlen. Aber im Gegensatz zu den anderen zog sie es vor, ihre Fähigkeiten an den Spieltischen ihrer Freunde unter Beweis zu stellen. Meistens gewann sie, hin und wieder jedoch verlor sie auch. Auf jeden Fall war sie stets darauf bedacht, ihre Aktivitäten vor dem Grafen geheimzuhalten. Clarington wäre schockiert gewesen, wenn er von der Begeisterung seiner Frau für das Glücksspiel erfahren hätte.
Phoebe, jüngster Sproß der Familie, war die einzige, die bisher keinerlei Talent für Mathematik oder Finanzangelegenheiten gezeigt hatte. Bereits als sie ein kleines Kind gewesen war, hatte jeder, auch sie selbst, festgestellt, daß sie die Fähigkeiten der anderen nicht geerbt hatte.
Ihre Familie liebte sie über alles, aber niemand wußte so recht, was er mit ihr anfangen sollte. Sie war einfach anders, und diese Andersartigkeit verwirrte jeden außer ihrer Mutter, die sich im allgemeinen von Phoebes Art nicht so leicht aus der Ruhe
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