Verruchte Lady
Meredith griff wieder nach ihrer Stickarbeit. »Ich bezweifle ernsthaft, daß er versuchen wird, Eingang in die bessere Gesellschaft zu finden. Große Feste und ähnliches haben ihm noch nie besonders gefallen, und auf jeden Fall fehlt ihm das nötige Geld.«
»Seine finanzielle Situation hat sich vielleicht geändert.« Phoebe runzelte nachdenklich die Stirn. Sie wußte sehr gut, daß die Einkünfte, die er mit dem Verkauf des Ritterzugs erzielte, nicht ausreichen würden, um ihm ein Leben auf großem Fuß zu ermöglichen. Aber schließlich hatte er lange Jahre in der Südsee verbracht. Und es ließ sich nicht leugnen, daß Gabriel durchaus tatkräftig und geschäftstüchtig wirkte.
»Alle Welt weiß, daß er zwar den Titel, aber kein Vermögen geerbt hat«, sagte Meredith steif. »Nein, ich glaube, wir sind vor ihm sicher.«
Phoebe dachte an Gabriels Gesichtsausdruck, als er nach dem Kuß zögernd von ihr abgelassen hatte. Sicher war nicht gerade der passende Ausdruck dafür.
Tief in ihrem Inneren fürchtete sie, daß er sein Versprechen einhalten und sie finden würde, daß er ihr das Manuskript brächte und die Nachforschungen anstellte. Doch genauso fürchtete sie, daß er all das vielleicht nicht täte.
Meredith blickte sie scharf an. »Du bist komisch heute,
Phoebe. Liegt das daran, daß du darüber nachdenkst, wie du au Kilbournes Antrag reagieren sollst?«
»Ich weiß bereits, wie ich darauf reagieren werde. Wenn er überhaupt einen Antrag macht.«
Meredith seufzte. »Nach all der Zeit hoffst du doch wohl nich ernsthaft, daß Neil Baxter eines Tages auf wundersame Weise nach England zurückkommen und dir ein Vermögen vor die Füße legen wird?«
»Mir ist durchaus bewußt, daß Neil seit einem Jahr tot ist.«
»Ja, ich weiß, aber du bist immer noch nicht darüber hinweg, nicht wahr?«
»Ich fürchte, sein Tod wird mein Gewissen für den Rest meines Lebens belasten«, gestand Phoebe.
Meredith riß alarmiert die Augen auf. »Das darfst du nicht sagen. Du hattest mit seinem Tod nichts zu tun.«
»Wir wissen beide, daß Neil nur wegen mir in die Südsee gegangen ist, um dort sein Glück zu machen. Und wenn er nicht dorthin gefahren wäre, wäre er nicht getötet worden.«
»Gütiger Himmel«, flüsterte Meredith. »Ich hatte gehofft, du hättest diese närrischen Schuldgefühle endlich abgelegt. Neil hat sich sein Schicksal selbst gewählt. Du darfst dir nicht die Schuld daran geben.«
Phoebe verzog den Mund zu einem traurigen Lächeln. »Das ist leichter gesagt als getan, Meredith. Ich glaube, die Tatsache, daß ich ihn als Freund und nicht als möglichen Ehemann betrachtet habe, macht alles so schwierig. Er hat nie akzeptiert, daß ich nichts weiter als Freundschaft von ihm wollte.«
»Ich weiß noch, daß er sich dein wahrer Lancelot nannte und daß er behauptete, er wolle dir stets zu Diensten sein.« Merediths Stimme klang mißbilligend. »Er war wirklich attraktiv. Aber mir ist schleierhaft, was du jemals an ihm fandest.«
»Er hat mit mir getanzt.«
Meredith blickte ihre Schwester verwundert an. »Er hat mit dir getanzt? Was in aller Welt soll das heißen?«
Phoebe lächelte wehmütig. »Wir wissen beide, daß nur sehr wenige Männer mich jemals zum Tanz auffordern. Sie haben Angst, daß ich eine schlechte Partnerin bin wegen meines Beines.«
»Sie wollen nur nicht, daß du dich auf der Tanzfläche unwohl fühlst«, sagte Meredith entschieden. »Sie fordern dich aus reiner Rücksichtnahme nicht auf.«
»Unsinn. Sie wollen sich nicht mit einer ungeschickten Partnerin blamieren.« Phoebe lächelte bei der Erinnerung an alte Zeiten. »Aber Neil war vollkommen egal, was die anderen von ihm dachten. Er hat sogar Walzer mit mir getanzt, Meredith. Er hat wirklich Walzer mit mir getanzt. Und es war ihm egal, daß ich etwas unbeholfen war. Was mich betrifft, so war er wirklich ein wahrer Lancelot.«
Phoebe wußte, daß sie erst zur Ruhe käme, wenn sie Neils Mörder fände. Das war sie ihm schuldig. Dann wäre sie vielleicht auch in der Lage, die Vergangenheit ruhen zu lassen.
»Phoebe, egal, was du für Kilbourne empfindest, bitte trag heute abend etwas, das nicht ganz so leuchtet. Es wäre unvernünftig, ihn mit einem deiner flammenden Kleider vollkommen abzuschrecken.«
»Eigentlich wollte ich mein neues grün-orangefarbenes Seidenkleid anziehen«, sagte Phoebe gedankenverloren.
»So etwas hatte ich befürchtet«, seufzte Meredith.
* * *
»Haben Sie zufällig den Ritterzug gelesen,
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