Verruchte Nächte - One Night with a Spy (03 Royal-Four)
von ihr bemerkt zu werden.
»Ja, Mylady. Die Heirat mit einem Angehörigen des Hochadels reicht nicht aus, Euch derart zu erhöhen. Es tut mir leid.« Lord Liverpool klang keineswegs, als täte es ihm leid.
Julia sah den Premierminister lange an. »Ich verstehe.«
Das Unglaubliche an der ganzen Sache, die verdammte, unerhörte Ironie der Geschichte, war, dass sie unberechtigterweise ausgeschlossen wurde. Und unter der Prämisse,
dass sie es nicht wagen würde, ihnen zu sagen, dass sie sich irrten.
Dann, in den Tiefen ihres Verlustes, kam alles noch viel schlimmer.
»Ihr wisst zu viel«, sagte Lord Liverpool. »Wir können nicht zulassen, dass Ihr einfach so weiterlebt, vor allem, nachdem Ihr jetzt ausgeschlossen seid.« Er starrte sie an. »Woher sollen wir wissen, dass Ihr nicht Rache nehmt, indem Ihr uns auffliegen lasst?«
»Vielleicht weil ich kein Interesse an Rache habe?« Aber ihre Stimme war zu schwach, als dass sie die Phrasendrescherei des Premierministers übertönt hätte.
»Ihr werdet den Rest Eures Lebens in einem Konvent verbringen, das wir bestimmen. Ihr werdet keine Verbindung zur Außenwelt haben oder zu Euren Dienstboten, die übrigens gerade vom Liar’s Club hinsichtlich ihrer Mitwisserschaft überprüft werden.«
»Sie sind loyale englische Bürger! Sie könnten dieses Land genauso wenig verraten wie mich!«
»Nichtsdestotrotz stellen sie ein enormes Sicherheitsrisiko dar. Der Liar’s Club ist bereits unterwegs. Sie werden Eure Dienstboten befragen und herausfinden, wie viel sie wissen.«
Die Zirkusleute wussten viel zu viel. Ihr Magen zog sich zusammen, als sie sich ihres frei gewährten Vertrauens entsann. Sie hatte sie alle viel zu tief mit hineingezogen …
Es war so viel schlimmer, als sie befürchtet hatte. Abgesehen von ihrem gebrochenen Herzen und ihren zerplatzten Träumen wollten die Vier sie jetzt auch noch hinter steinerne Mauern sperren und ihre Familie zerstören! Aldus hatte sie gewarnt, er hatte sie gelehrt und ihr alles gesagt - und doch war sie immer noch das dumme Mädchen von einst. Sie hatte ihr Herz verschenkt - und Marcus hatte es mit einem Pfeil durchbohrt.
Die Royal Four würden sich still und leise ihrer Familie entledigen, und sie hatten jedes Recht dazu - denn ohne sie an ihrer Spitze würde sich die Gruppe bald in alle Winde zerstreuen und eines Tages würde einem von ihnen die Zunge ein wenig zu locker sitzen …
Und an allem war allein sie schuld!
Sie konnte es nicht tun. Sie konnte sie so nicht im Stich lassen, auch nicht, um sich selbst zu retten. Einer für alle, alle für einen.
»Ich … verstehe.« Sie richtete sich so groß auf, wie sie konnte. »Also gut. Zum Wohle Englands will ich mich Euren Wünschen beugen. Meine einzige Bitte ist, dass ich …« Warum bekam sie bloß keine Luft? Ach ja, sie zog gerade Hochverrat in Betracht, deshalb. »Meine einzige Bitte ist, dass ich mich hier von meinen Leuten verabschieden darf. Ihr werdet sie als viel kooperativer erfahren, wenn sie denken, dass ich in guten Händen bin.«
Liverpool kniff die Augen zusammen. »Nein.«
Sie sah, wie Marcus die Zähne aufeinanderbiss. »Ja.«
Der Löwe sah Marcus mitleidig an. Warum? »Ja«, sagte der blonde Riese.
Der Falke betrachte allein Julia. Sie erwiderte seinen Blick mit gerade so viel Offenheit, wie sie wagte. Er war einfach viel zu scharfsichtig. »Nein«, lautete das Urteil des Falken.
Die Kobra stand da mit verschränkten Armen. Er hatte die ganze Zeit über noch nichts gesagt. Und das einzige Wort, das er jetzt von sich gab, lautete: »Nein.«
Sie war überrascht. Er war ihr als derjenige vorgekommen, der noch am ehesten zu ihren Gunsten entscheiden würde. Wie auch immer, sie konnte jetzt nichts mehr daran ändern. Sie neigte ergeben den Kopf. Wenigstens wusste sie jetzt etwas, das ihr vorher nicht klar gewesen war: Marcus hatte Schuldgefühle wegen dem, was er getan hatte - oder
zumindest bedauerte er es, und der Löwe ließ Marcus in dieser Angelegenheit entscheiden.
Das waren zwei Punkte - zwei Punkte, die ihre Chancen ein klein wenig verbesserten. Vielleicht reichte es.
»Darf ich packen?«
Liverpool trat einen Schritt vor. »Die Nonnen werden Euch mit allem versorgen, was Ihr braucht. Der Orden von Santa Clara hat sich dem Armutsgelübde unterworfen, Ihr werdet also nur wenig benötigen.«
Vom Aschenputtel zur Prinzessin zum Aschenputtel.
Etwas in Julia erwachte - etwas Mutiges und Verzweifeltes, das sie lange verloren geglaubt hatte.
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