Verruchte Nächte - One Night with a Spy (03 Royal-Four)
davon, wie du dir einen Lord geangelt hast. Hab immer vorgehabt, mir deinen Mann mal anzusehen und zu schauen, ob er dich auch gut behandelt.«
Dann erst schien er ihr schwarzes Kleid als das zu erkennen, was es war: Trauerkleidung. »Oje, sag bloß nicht, du hast ihn schon verloren?«
Julia nickte, da sie ihrer Stimme nicht traute. Innerhalb von weniger als vierzehn Tagen hatte sie sowohl Aldus als
auch Marcus verloren. Wenn es ein schwärzeres Schwarz gäbe, würde sie es tragen.
»Ich habe leider sehr viel verloren«, sagte sie schließlich. »Ich besitze nicht mehr als das, was ich am Leib trage.« Sie neigte den Kopf und sah den Hengst an, der inzwischen am Straßenrand graste. »Und das Pferd eines anderen.«
John musterte den Hengst. »Das sind oftmals die besten.« Dann sah er sie wieder an. »Und was ist aus den Pickles-Leuten geworden? Habe gehört, du hättest sie alle in Pinguin-Fräcke gesteckt und ihnen Geld dafür gegeben, dass sie dich bedienen. Hast du die auch verloren?«
Sie seufzte. »Musste die Zelte abbrechen und mich aus dem Staub machen.«
Mehr brauchte sie nicht zu sagen. Er legte ihr einen Arm um die Schulter. »Sie kommen schon zurecht«, sagte er tröstend. »Komm mit, du kannst unseren zweiten Wagen haben. Petunia wird total aus dem Häuschen sein, dich zu sehen.« Noch einmal warf er einen Blick auf den Hengst. »Ist der zu was zu gebrauchen? Es ist zu spät, jetzt noch was Neues einzustudieren, aber eine Pferdenummer würde uns die Leute im nächsten Jahr in Scharen zutreiben.«
Julia schaute Marcus’ Hengst mit leerem Blick an. Sie hatte noch nicht so weit vorausgeplant. Konnte sie einfach wieder Jilly mit der Pferdenummer werden? Sie schlang die Zügel um ihre Hand und schnalzte dem Hengst zu, dass er ihr zu dem Lager ein Stückchen weiter vorn folgte, wo die bunten Wagen der Zirkusleute standen.
Es war vielleicht nicht viel Zukunft, aber es war mehr, als sie noch vor fünf Minuten gehabt hatte.
Petunia war tatsächlich »total aus dem Häuschen« und überließ ihr gerne den zweiten Wagen, ihr bestes Nachthemd und das zweitbeste Topfset, das sie und John besaßen. »Ich würde Euch ja auch die guten geben, Mylady«, sagte sie entschuldigend, »aber die sind noch über dem Feuer.«
Julia lächelte beim heimeligen Anblick und Geruch des Kochens über dem Lagerfeuer und nahm die verbeulten Töpfe und Pfannen entgegen. »Das ist sehr nett. Und bitte sag Jilly zu mir, wie früher.«
Petunia knickste. »Ja, Mylady, ich meine …« Verwirrt wandte Petunia sich zornig an John. »Jetzt steh nicht einfach so rum, du Dummkopf. Lady Barrowby wird am Verhungern sein.«
Julia schüttelte lachend den Kopf. »Ich glaube, ich bin zum Essen zu müde. Wenn ihr mir den Gefallen tätet, euch um mein Pferd zu kümmern, dann würde ich mich jetzt gerne hinlegen.«
Petunia und John ließen sie nicht aus den Augen, als sie in den zweiten Wagen kletterte. Julia winkte ihnen zu und lächelte, dann schloss sie die schmale Tür vor ihrer übereifrigen Gastfreundschaft, bevor sie die Fassung verlor. Endlich allein, lehnte sie die Stirn an die dünne Tür und atmete tief ein.
»Stelle sich das einer vor!«, hörte sie Petunia. »Wir haben eine echte Dame in unserem Wagen!«
»Aber sie ist doch immer noch unsere Jilly, oder?« John klang, als habe er seine Zweifel. »Sie ist jetzt so vornehm …«
Sie war zu Hause und doch auch wieder nicht. Ihre Familie war die alte, aber sie selbst hatte sich verändert. Julia seufzte. Vielleicht würde eine einfache Zukunft als Jilly mit der Pferdenummer doch schwieriger, als sie gedacht hatte.
Sie zog ihr zerschlissenes Trauerkleid aus und warf sich Petunias Nachthemd über, das zu kurz und zu weit war. Der Wagen war eilig leergeräumt und das schmale Bett mit einer verblichenen, aber sauberen Steppdecke versehen worden. Julia strich versonnen darüber. Ihre ganze Kindheit durch hatte sie unter einer fast identischen Decke geschlafen.
»Ich bin wieder da, wo wir angefangen haben, Mama«,
flüsterte sie. Sie ließ den Kopf in die Hände fallen. Sie fühlte sich wie ein Pendel, das von einem Extrem zum anderen schwang; ihr Leben schien ihr ein steter Wechsel von Aufs und Abs.
War es ihr jemals so schlecht gegangen wie jetzt?
Nein, entschied sie. Heute war tatsächlich der schlimmste Tag ihres Lebens, denn dieses Mal hatte sie nichts, woran sie sich festhalten konnte. Keinen Ehemann, keine Familie, keinen Landsitz, keinen Liebhaber, keine Arbeit. Ihre Hände
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