Verruchte Nächte - One Night with a Spy (03 Royal-Four)
wieder in Sicht kamen. Wie er es sich vorgestellt hatte, stand Julia bei dem Tierpfleger und quälte ihn mit den Details, wie ein verwöhnter, zahnloser Löwe zu pflegen war.
Marcus trat hinter sie. »Julia.«
Julia wirbelte herum. Ihre Lippen waren noch geöffnet von ihrem letzten Wort. Ihr erster Gedanke war, dass er zurückgekommen war, um ihr einen Abschiedskuss zu geben. Der zweite, dass er gekommen war, um ihr Fesseln anzulegen und sie fortzuschaffen.
Ehrlich gesagt, wusste sie nicht, was schlimmer wäre.
»Ja?« Sie hasste den atemlosen, hoffnungsvollen Klang ihrer Stimme.
»Ich weiß nicht, was ich tun soll«, sagte er einfach. »Ich kann dich nicht ausliefern. Ich kann dich nicht gehen lassen.«
Sie fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. »Bittest du mich um einen Rat?« Sie hoffte inständig, dass nicht,
denn sie befürchtete schon, sie würde seiner Karriere förderlich werden wollen, indem sie sich freiwillig stellte.
»Wir hatten nur eine Nacht zusammen. Wenn ich den Rest meines Lebens ohne dich sein muss, dann will ich als Ausgleich einen Tag.« Wieder streckte er die Hand nach ihr aus, und dieses Mal strich er ihr mit einem Finger über die Wange. »Ich bitte dich um etwas Zeit. Ich will einen Tag. Mit dir.«
Ihr törichtes Herz machte einen Sprung. »Mit mir?«
Er lächelte und drehte seine Hand, sodass sein Handteller sich unter ihr Kinn schmiegte. Die Hitze seiner Haut auf ihrer drohte den Tresor zum Schmelzen zu bringen, in dem sie ihre Tränen verschlossen hatte.
»Mit dir«, flüsterte er.
Julia klammerte sich an ihren gesunden Menschenverstand und ihren freien Willen. Sie hob das Kinn. »Nicht, wenn du an diesem Tag versuchst, mich davon zu überzeugen, ins Kloster zu gehen oder dich zu heiraten.«
Er grinste. Ihr Herz hüpfte in ihrer Brust.
»Keine derartigen Versuche. Keine nationale Krise. Kein Kloster, kein Fuchs, keine Royal Four.« Seine Fingerspitzen verweilten kurz auf ihrer Haut, als er seine Hand zurückzog und sie ihr reichte. »Nur du und ich, zusammen. Willst du mir das zugestehen?«
Julia blickte hinab auf seine offene Hand, dann hinauf in sein Gesicht. Er sah so erschöpft aus, wie sie sich gestern Abend gefühlt hatte, bevor die Warmherzigkeit der Zirkusleute ihr wieder Mut gemacht hatte.
Sie legte die Hand in seine. »Bleib bei mir.«
»Der feine Pinkel bleibt, ja?«, ließ sich eine dröhnende Stimme neben ihnen vernehmen.
Julia drehte sich um. »John.« Lächelnd stellte sie ihren Freund aus Kindertagen dem tadellos gekleideten Lord Dryden vor. »Marcus, darf ich vorstellen: John Wald.«
Marcus streckte die Hand aus, fand sich jedoch in einer bärenartigen Umarmung wieder.
»Marcus, du wirst keine bessere Frau finden als unsere Jilly hier! Es ist jetzt höchste Zeit, dass du mir hilfst, die Pferde…« John warf Julia einen raschen Blick zu. »… die Pferdeäpfel aufzuschippen«, beendete er den Satz.
Marcus schaute auf die dreckverkrustete Schaufel, die ihm in die Hand gedrückt wurde, dann auf den muskulösen Mann neben Julia.
»Äh …«, Julia schien überrascht. »John, ich glaube nicht …«
Der große Mann verschränkte die Arme. »Das ist so unsere Art, erinnerst du dich? Und jetzt komm mit«, sagte er zufrieden zu Marcus. »Wir haben zu tun.«
Marcus blinzelte. »Aber …«
Julia zog sich zurück. Sie winkte ihm zu, ein leises, hilfloses Lächeln auf den Lippen. »Ich sehe dich dann zum Abendessen bei meinem Wagen.«
Marcus machte einen Schritt, um ihr zu folgen, dann sah er zu Boden. Sein Stiefel steckte zentimetertief in einem dampfenden Dunghaufen, der niemals von einem sterblichen Pferd stammen konnte.
»Hab dir doch gesagt, dass es zu tun gibt.« John gluckste tief. »Der Haufen wird nicht kleiner, wenn du nur dastehst.«
Marcus sah Julia hinterher, wie sie mit flatterndem, schlecht sitzendem Leinenhemd verschwand, und seufzte. Pferdeäpfel also. Nicht unbedingt das, was er sich vorgestellt hatte, als er sie um einen gemeinsamen Tag gebeten hatte. Und doch verriet ihm das Leuchten in ihren Augen, dass er nicht lange allein bleiben würde.
Julia beobachtete aus einiger Entfernung, wie John Marcus mit Arbeiten überhäufte. Sie hatte es nicht über sich gebracht, ihm zu sagen, dass das so üblich war, wenn zwei Zirkusleute
im Begriff standen zu heiraten. Die anderen hielten die beiden voneinander getrennt und beschäftigten sie den ganzen Tag mit anderen Dingen. In einem kleinen Lager, wo zwei Liebende gut miteinander
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