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Verrückt bleiben

Verrückt bleiben

Titel: Verrückt bleiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Buschheuer
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Aber das kommt in den besten Familien vor. Der Tod der Idee ist ein Teil des kreativen Prozesses. Man hat ja idealerweise nicht nur eine. Kaum hat man eine, kommt auch schon die zweite und rennt die erste um. Die schwachen Ideen müssen sterben, damit die starken überleben können. Manchmal sind Ideen bissig wie Frettchen. Sie konkurrieren. Manchmal sind sie sogar regelrecht blutrünstig. Sie töten sich gegenseitig. Es kann sein, dass Ihre Zweifel die Idee töten, bevor überhaupt irgendjemand von ihrer Existenz erfährt. Es kann sein, dass Sie sie so lange verschlimmbessern, bis sie das Schicksal einer mehrfach gelifteten Frau ereilt: Sie verliert ihre Originalität. Es kann sein, dass Sie versuchen, mit dem Kopf anderer Leute zu denken, und die Idee vor der Geburt verlieren. Oder Sie lassen die Idee zu früh heraus, und sie ist noch nicht stark genug, ein Frühchen.
    Wenn aber der Moment kommt, in dem die Idee, die Sie ausgebrütet haben, erstmals aus dem Dunkel Ihres Kopfes kriecht, lassen Sie sie an der langen Leine. Geben Sie Spiel! Legen Sie Ihr Baby in ein Körbchen, und lassen Sie es schwimmen. Es kann sein, dass es die Strudel unserer Wirklichkeit nicht überlebt. Es kann auch sein, dass ihr nur ein kurzesLeben beschieden ist. Preston Sturges, der amerikanische Regisseur, entwickelte vor knapp hundert Jahren den kussechten Lippenstift. Er schaffte es nicht ins nächste Jahrtausend. Der Lippenstift nicht, und Sturges sowieso nicht.
    Sobald Sie Ihre Idee jemand vorgetragen haben, kommen andere Leute ins Spiel. Galileo Galilei, der Mann, der als Erster ein Fernrohr zum Himmel richtete, erfand nebenbei einen automatischen Tomatenpflücker und einen Taschenkamm, der auch als Besteck verwendet werden konnte. Leider fand sich niemand, der diese schönen Ideen förderte.
    Es gibt den selbstlosen Förderer der Idee, das wäre sozusagen der Idealfall. Es gibt den auf Konsens bedachten, das ist nicht gut. Es gibt den, der die Idee durch die Marktforschung schicken will, so lange, bis sie an Altersschwäche gestorben ist, das ist erst recht nicht gut. Es gibt den Feigen, der die Idee fürchtet, den Neider, der sie in jedem Fall scheußlich finden wird, und es gibt den Müden, der irgendwie alles schon mal gehört hat. Der ist der Schlimmste: der Abwinker.
    Im Juli 1877 gründete der Schotte Bell in Kanada eine Telefongesellschaft. Nach nur drei Wochen wurden 25 Telefone pro Tag vermietet. Schon bald, so verkündete Bell, würden Menschen miteinander sprechen können, ohne sich zu sehen. Der Schriftsteller Mark Twain, der selbst Erfinder war, hielt das für eine Schnapsidee. Wenn jeder allein in seinem Haus ist und die Ruhe genießt, warum sollten die Leute in verschiedenen Häusern dann miteinander reden wollen? Und worüber? Mark Twain war in diesem Fall ein Abwinker – aufhalten konnte er die Erfindung nicht. Ein Ehemann, dessen Frau neue Wege gehen will, kann ein Abwinker sein. Vorgesetzte sind Abwinker. Schlechte Freunde (vor allem ideenlose) können Abwinker sein. Stellen Sie sich vor, Sie haben eine Idee, und alle winken ab: Die Idee gab es schon, so eine Idee funktioniert nicht etc. pp.
    Entmutigend, in der Tat, aber selbst jetzt gibt es noch Hoffnung. Sie brauchen eine innere Unerschütterlichkeit, denGlauben an sich und Ihre Idee, und Sie brauchen Kraft, um für Ihre Idee zu kämpfen. Als Gerard Damiano, ein Friseur aus Queens, dem Produktionsleiter Ron Wertheim erzählte, er habe eine Darstellerin entdeckt, die eine so spezielle Fellatio-Technik habe, dass er darüber einen Film zu machen gedenke, in dem die Heldin die Klitoris im Hals hat, sagte Wertheim: »Eine Klitoris im Hals? Gerard, das kannst du nicht machen, das ist vollkommen absurd.« Damiano hörte nicht auf ihn. Er drehte »Deep Throat« mit einem Budget von 25   000 Dollar – der Film spielte sechs Millionen ein. Verdient haben daran andere.
    Selbst wenn Sie für Ihre Idee ein offenes Ohr finden: Man kriegt die Banane nicht ohne Schale. Sie werden vielleicht durch Minenfelder laufen müssen. Es wird vielleicht am Ende jemanden geben, der Ihre Idee kauft, meistbietend verkauft – und sie verrät. Dennoch: Es lohnt sich. Gäbe es die Glühbirne nicht, dann würden wir heute im Dunkeln munkeln. Führen Sie immer ein Notizbuch mit sich. Holen Sie Ihre Ideen ans Licht!

14. Der illusorische Brief der Woche
    SPIEGEL: »Wie sind Sie ausgerechnet auf die deutsche Gruppe Rammstein verfallen, von der zwei Songs in ›Lost Highway‹ zu hören

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