Verrückt bleiben
Baby, sein Enkelkind im Arm hält. Der Moment, in dem man vor den Altar tritt. Oder vor den Schönheitschirurgen. Oder vor Gott.
Einmal saß Willie Nelson hinter mir im Kino, einmal half mir Billy Bob Thornton in Manhattan, Umzugskartons zu schleppen, weil ihn mein Anblick dauerte. Einmal bin ich nachts mit Udo Lindenberg durchs Brandenburger Tor gejoggt. Einmal nahm ich den Dichter Heiner Müller mit zum Playboy Rolf Eden. Müller stand in der unwirklichen Kulisse von Edens Villa, betrachtete Eden, der Klavier spielte und dann aufstand, während das Klavier weiterspielte, und genoss die Szenerie. »Was machen Sie denn so?«, fragte der Gastgeber den ihm unbekannten Dichter. »Ich leite ein Theater«, sagte Müller. »Toll«, sagte Eden. »Ich hab auch mal ein Theater geleitet.« Da standen sie, Eden in Weiß, Müller in Schwarz, und tranken in schöner Eintracht einen Whisky auf die Kunst. Vergesse ich nie. Gehört mir.
Glück ist relativ. Rita Hayworth hat mal gesagt, dass ihre Ehe mit Orson Welles die glücklichste Zeit ihres Lebens war. Darauf Welles: »Muss ja ein trauriges Leben gewesen sein!« Arbeit kann angeblich auch glücklich machen. Einmal las ich von einer Studie, für die ein Glücksforscher ganz viele ganz verschiedene Menschen befragt hatte. Am Ende kam raus, dass der Puertoricaner, der in einem Supermarkt die Äpfel poliert, von allen Befragten am glücklichsten war. An den glücklichen puertoricanischen Äpfelpolierer habe ich seitdem oft gedacht. Neidvoll, möchte ich sagen.
Ist das Glück wirklich so konkret wie ein Berg blankgewienerter Äpfel? Oder ist es groß und fett wie ein Jackpot? Ist Glück wie ein Klo, das man rechtzeitig findet? Oder ist es gestaltlos und ganz weit weg, meist anderswo, dort, wo man selbst grad nicht ist? Werden da wirklich Endorphine ausgeschüttet, eimerweise ausgeschüttet, und wo werden die hingeschüttet,und wie geht man sicher, dass sie nicht VERschüttet werden?
Balzac hat mal über sich gesagt, er sei in seinem ganzen Leben nur drei oder vier Tage lang glücklich gewesen. Das kam mir irre wenig vor. Ich bin oft glücklich. Ich bin auch oft unglücklich, aber eben genauso oft glücklich. Für mich gilt: Lieber einmal verloren, einmal gewonnen, als zweimal unentschieden. Wie beim Fußball.
Warum haben Menschen so unterschiedliche Auffassungen von Glück? Hab ich meines extra tiefer gehängt, um es öfter zu erreichen? Woody Allens »Der Stadtneurotiker« kann unmöglich jemals glücklich werden. Ganz allein aus der Tatsache heraus, dass er jeden glückversprechenden Umstand beargwöhnt, ja verkennt. Und Sisyphos, der Mann, der den Stein den Berg hochrollt, wird erst dann glücklich, wenn er akzeptiert, dass er es niemals schaffen wird.
Wobei, auch hochgehängtes Glück hat ja sein Gutes. Dann kann man sich ein Leben lang vergeblich danach strecken. Und sollte man doch mal, glücklicher als der Fuchs in Äsops Fabel von den sauren Trauben, ein Zipfelchen erwischen, dann hat man eben schlichtweg Schwein gehabt!
Manchmal liegt der Glücksmoment weit zurück, in der Kindheit. Ein Mittwoch in Eilenburg, Ende der 60er Jahre. Ich bin ungefähr vier Jahre alt und stehe am Zaun des Henri-Kindergartens. Die Sirene heult. Jeden Mittwoch um eins heult die Sirene. Und dann weiß ich: Heute muss ich den doofen Mittagsschlaf nicht mitmachen. Heute werde ich abgeholt. Gleich wird sie dort hinten um die Ecke wackeln, meine Omi aus der Lutherstraße, und dann wird alles gut. Mein Opa Wilhelm, Klempnermeister, schmiedet mir aus einem 50-Pfennig-Stück einen Aluminium-Fingerring. Ich darf Klimmzüge machen am ausgestreckten Arm meines Vaters. Meine Mutter bringt mir die Doppelte Löffelsprache bei. Meine Tochter wird geboren, hat alle Finger und Zehen - und ist obendrein das schönste Kind auf der Welt.
13. Der Ideentöter – unser schlimmster Feind
»Bei uns in Brasilien gibt es einen Witz: Ein Mann präsentiert das Drehbuch für den Film ›Kingkong‹. Tolle Idee, sagt der Produzent, aber machen Sie den Affen raus.«
Nizan Guanaes, Creative Director
Sind Sie ein Ideentöter? Verdammt, dann haben Sie dieses Buch zu spät in die Hände gekriegt. Haben Sie eine Idee? Herzlichen Glückwunsch, aber das allein reicht nicht. Sie müssen die Idee aussprechen, erst dann kommt sie in die Welt. Das Leben einer Idee muss man sich vorstellen wie ein Menschenleben: Sie entsteht, wird geboren, hat ein Leben und stirbt. Manchmal, leider sogar relativ oft, stirbt die Idee vor der Zeit.
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