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Verrückt bleiben

Verrückt bleiben

Titel: Verrückt bleiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Buschheuer
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günstigen Moment, der aus unerfindlichen Gründen niemals von selber kommt?
    Es geht so: Die großen Dinge müssen, ganz beiläufig, in die Erledigungsliste integriert werden: Was mache ich heute? Müll runterbringen, an Werner Herzog schreiben, Schreibtisch aufräumen. So einfach ist das.

15. Es lebe der Makel
    »Sehr geehrter Herr Oberarzt,
    medizinisch bitte ich, für die Beseitigung meiner Hasenscharte zu sorgen. Ich wünsche die Lippen voll und gut durchblutet, die Kopfhaut braucht eine dreifache Kopfhaarvermehrung. Die Augen wünsche ich strahlender, feuriger Blick und große Pupillen. Die Augenwimpern seidig, ohne Augenschatten. Das Körpergewicht mindestens 70–75 Kilo. Die Körpergröße sollte schon 1,76 sein.«
    Hochachtungsvoll Alexander März«
    Heinar Kipphardt, »März«

1991, bei den Dreharbeiten zu »Hook«, lernte Dustin Hoffman die Tochter seines Schauspielerkollegen Jon Voight kennen. Sie war schmal und schlaksig, mit Riesenaugen und großen, rissigen Lippen, sie trug eine Zahnspange und sah, wie Hoffman fand, ziemlich unansehnlich aus. »Was willst du mal werden?«, fragte er sie. »Schauspielerin«, sagte sie. Hoffman sagte abends zu seiner Frau, es würde für das Mädchen ein böses Erwachen geben. Heute ist Angelina Jolie nicht nur eine der bestbezahlten Schauspielerinnen, sondern gilt auch als eine der schönsten Frauen der Welt. Wobei solche Urteile vollkommen willkürlich von der Gesellschaft beschlossen werden, und das, obwohl Schönheit im Auge des Betrachters liegt.
    Einmal belauschte ich, wie eine Maskenbildnerin einer anderen erklärte, worauf bei mir zu achten sei: tiefliegende Augen, flacher Oberkopf, Mund und Nase müssen kleiner geschminkt werden, das linke Augenlid hängt, die Ohren stehen ab. Es klang, als beschriebe sie einen Neandertaler. Mein Selbstbild war für einige Tage beschädigt. Dabei ist alles eine Frage des Blickwinkels.
    Charles Bukowski bringt es auf den Punkt: »Ich hielt Elizabeth Taylor immer für eine der hässlichsten Frauen, die ich je gesehen hatte. So prätentiös, böse, besitzergreifend, feist. Sie verkörpert das weibliche Geschöpf, das nach allem greift, nur weil ihre Lippen so geformt sind, ihre Augenbrauen so, ihre Augen so, ihr Haar liegt so. Sie kann mich verklagen, wenn ich jetzt sage: Elizabeth Taylor, du bist eine hässliche Frau. Und dann soll ein Gericht entscheiden, ob sie schön oder hässlich ist.« Vermutlich hätte Bukowski Schmerzensgeldzahlen müssen, wäre es zur Klage gekommen. Bei Quasimodo dagegen hätte man ihm recht gegeben.
    »Du bist so hässlich, dass ich’s kaum ertragen kann«, singt Konstantin Wecker. Und tatsächlich: Es gibt keine wohlwollende Auslegung für diese Bezeichnung. Das hässliche junge Entlein – das will keiner. Den hässlichen Frosch – die Prinzessin wirft ihn an die Wand. Niemand will hässlich sein, denn wer hässlich ist, hat nichts zu lachen. Und was als hässlich gilt, das beschließt die Gesellschaft. Die Gesellschaft hat sich darauf verständigt, dass der Glöckner von Notre Dame hässlich ist. Alle außer Esmeralda hassen ihn, denn hässlich leitet sich von Hass ab. Quasimodo könnte nicht in »Germany’s Next Topmodel« mitmachen, aber das braucht er ja auch nicht. Er hat Schwein gehabt, er ist unsterblich, als literarische Figur.
    Als Alfred Biolek, der vorher als Assessor im Justitiariat des ZDF gearbeitet hatte, zum ersten Mal eine Sendung moderierte, riet ihm ein Maskenbildner zu einem Toupet, weil sein Hinterkopf zu flach sei. Biolek trat einmal damit auf und dann nie wieder. Es kam ihm albern vor. Weder sein flacher Hinterkopf noch sein vorstehender Unterkiefer noch sein nervöses Hüsteln haben seiner Fernsehkarriere geschadet. Er war ein Typ, und er stand dazu. Frank Elstner und Peter Falk machten mit Glasauge Karriere. Es ist das gewisse Etwas, die Fehlbarkeit, der Makel.
    Haben Sie eine große Nase wie Cosima Wagner oder Adrien Brody? X-Beine wie Kate Moss? Schlupflider wie Claudia Schiffer? Eine Zahnlücke wie Madonna? Abstehende Ohren wie Denis Scheck? Schielen Sie wie Heidi, das Opossum? Sind Sie einbeinig wie Heather Mills? Sitzen Sie im Rollstuhl wie Schäuble? Quält Sie eine Akne? Leiden Sie darunter?
    »Herr, gib mir die Kraft und den Mut, mein Herz und meinen Körper ohne Ekel zu betrachten«, sagt Charles Baudelaire. Wir sind permanent von Hässlichkeit bedroht. Wenn wir noch nicht hässlich sind, dann könnten wir es schwuppdiwupp werden. Haarausfall, Warzenbefall über

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