verrueckt nach mehr
Sergio schlafen sollte, hatte ich fast aus Trotz »Wahrscheinlich mo r gen!« gesagt und ihr angedeutet, dass ich nicht vorhatte, heute Nacht noch heimzukommen. Natürlich hatte sie gleich ang e fangen zu diskutieren, bis unser Gespräch in eine Art Streit ausgeartet war. Doch ich hatte nicht nachgegeben!
Meine Mutter sah es schließlich ein, dass sie mich nicht umstimmen konnte und sagte: »Gut, Lexi! Aber das nächste Mal sagst du mir vorher Bescheid, dass du woanders schläfst! Ich hatte mich nämlich darauf gefreut, dass wir beide es uns vor dem Fernseher gemütlich machen.« In ihrem Tonfall lagen so viel Enttäuschung und Vorwürfe, dass ich fast schon sauer geworden war. Mir ein schlechtes Gewissen einreden zu wo l len, schien ihre neue Masche zu sein.
Bojan warf mir die Fernbedienung des DVD-Players zu. Ich versuchte das Ding in der Luft zu fangen, aber es fiel in meinen Schoß.
»Ich hol mir jetzt ein Bier. Was ist mit dir, Lexi?«
Ich verzog unschlüssig das Gesicht.
»Du musst nicht ...«
»Doch«, sagte ich schließlich. »Ich will auch eins.«
Wir hatten Unmengen an Knabberzeug und Süßigkeiten auf dem Couchtisch abgeladen.
Bojan hatte sich neben mich gesetzt und seinen Pulli au s gezogen. Auf dem schwarzen T-Shirt, das nun zum Vorschein gekommen war, prangte diesmal passenderweise ein Tote n kopf. Er hob grinsend seine Bierflasche in die Höhe. »Prost, Lexi, auf dass die beschissenen Zombies ordentlich abg e murkst werden!«
»Prost!«, sagte ich, und unsere Flaschen stießen sachte g e geneinander.
Seit einigen Minuten lief das Intro des Films in einer Da u erschleife, untermalt mit gruseliger Musik.
Die Fernbedienung lag neben mir, aber ich wollte noch nicht auf ‚Play‘ drücken.
» Bo, kann ich dich was fragen?«
Er sah mich gespannt an. »Na klar ... leg los.«
»Wie machst du das, dass du so gut ... Ich mein, nach dem Unfall ... und allem, was passiert ist ... dass du so gut damit klarkommst?«, stotterte ich beklommen.
»Meinst du, dass ich so gut klarkomme ... und jemand a n deres nicht?«
Ich nickte.
»Kann da nur raten, Lexi«, sagte er ernst und nahm einen kräftigen Schluck aus seiner Flasche. »Ich schätze, es hat was damit zu tun, dass ich loslassen konnte ... und dass ich denke, der Kleine hüpft jetzt in einer anderen Welt umher, verstehst du? Ich meine, ehrlich, Lexi, ich tu mich schwer mit irgen d welchem religiösen Quark, von wegen ‚Der Herrgott hat ihn zu sich geholt‘ und das übliche Geschwafel ... Was für ein Herrgott ist das, verflucht, der Kinder sterben lässt? ... Dieser Priester hat Bullshit erzählt ... Aber ich glaube auch nicht, dass ein Mensch sich einfach in Luft auflöst, als hätte es ihn nie gegeben ... Das ist genauso irre. Ich stell mir vor, dass da nach dem Tod irgendwas sein könnte, okay ... Und da ist der kleine Yvo jetzt! Genau das stelle ich mir vor. Und soll ich dir noch was verraten?«
Mit einem Kloß im Hals nickte ich und wartete.
»Ich bin verflucht glücklich darüber, dass ich diesen scheiß Unfall heil überlebt habe, Lexi! Ich hab ... ich hab das Gefühl, ich muss jeden Tag noch intensiver leben und ihn nu t zen ... ihn auswringen, bis er nichts mehr hergibt. Ich will meine Vorsätze endlich in die Tat umsetzen! Keine Ausreden mehr! Ich will nicht mehr warten und verschieben ... und Zeit verlieren. Das Leben schuldet mir nichts. Gar nichts! Und es kann morgen vorbei sein, wie wir nun wissen ... Ich will nicht trauern, sorry ... auch wenn ich manchmal so abgefuckt d e primiert bin, sobald ich an den Unfall denke ... weil ich ... ich hab so viel Glück gehabt, Lexi, und das macht mich echt high ... Aber ich weiß auch, dass das meine Sicht der Dinge ist ... Ich erwarte von keinem von euch, und schon gar nicht von Sergio, dass ihr ähnlich denkt.«
»Ich hab immer gedacht, ich bin Atheist ...«, sagte ich le i se, während ich auf die Bierflasche in meiner Hand starrte. »Wie meine Mom. Sie sagt, sie hat in ihrem Job so viele Me n schen sterben sehen ... Wenn sie ihren letzten Atemzug tun, dann ist da nichts mehr übrig von ihnen ... nur eine leere Hü l le. Diese Vorstellung hatte mir nie wirklich Angst gemacht. Aber jetzt will ich auch glauben, dass es irgendwo ... irgen d wie weitergeht.«
»Dann sind wir keine Atheisten, sondern ... dieses andere Wort ...«
»Agnostiker?«
»Ja, das.«
»Sergio redet mit mir nicht über seine Gefühle«, verriet ich Bojan auf einmal. »Ich weiß nicht, was in ihm vorgeht, aber
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