verrueckt nach mehr
das Sandmännchen längst über alle Berge ist.«
»Hey ...«, sagte er und griff nach meinem Arm. Ich sah ihn an und wartete gespannt. »Bitte! ... Ich zahl auch! Auf keinen Fall fährst du alleine Nachtbus.«
»Es ist nicht mal Mitternacht«, entgegnete ich, legte alle r dings wenig Nachdruck in meine Stimme.
»Egal ... Nacht ist Nacht. Warte kurz.«
Er ging in sein Zimmer und kehrte mit dem Handy am Ohr zurück. Während er das Taxi bestellte, verabschiedete ich mich von Bojan.
An der Wohnungstür nahm Sergio mich in die Arme und drückte mich fest gegen seine Brust. Wir verharrten so derm a ßen lange in dieser Haltung, dass ich mich fragte, was los war. Dann nahm er mein Gesicht zwischen seine Hände und sah mich an. »Komm gut heim«, flüsterte er und gab mir einen Kuss auf die Lippen, aber ohne seine Zunge mit ins Spiel zu bringen. Enttäuscht öffnete ich die Augen.
»Mach ich«, sagte ich.
Im Taxi kramte ich in meiner Tasche hektisch nach me i nem klingelnden Handy. Vielleicht wollte mir Sergio noch irgendetwas mitteilen?
Als ich sah, dass der Anruf von meiner Mutter kam, war ich schnell ernüchtert.
Mit ihrer dramatischen ‚ Ich-mache-mir-ganz-furchtbare-Sorgen -Stimme‘ rief sie: »Lexi, wo steckst du?«
»Mama, ich bin schon auf dem Heimweg«, versuchte ich sie zu beruhigen.
»Und wo ... wo warst du?«
Ich warf von meinem Platz hinter dem Beifahrersitz aus einen Blick in den Rückspiegel des Taxis, weil ich mich vom Fahrer beobachtet gefühlt hatte, aber ich musste mich geirrt haben.
»Bei Sergio!«
Schweigen.
Meine Antwort hatte ihr sicher missfallen. Und dennoch hatte sie bestimmt nichts anderes erwartet, sonst hätte sie mich mit weiteren Vorwürfen überhäuft, statt sie mir stumm zu vermitteln.
»Bin gleich zuhause, Mama. Ist alles gut, keine Sorge«, sagte ich, möglichst ohne genervt zu klingen.
Ich schaltete mein Handy aus.
Mein Brustkorb schien sich auf einmal zu verengen. Ich versuchte tief durchzuatmen, aber es wurde nicht besser. Ich bat den Taxifahrer etwas Frischluft hereinzulassen, was er auch sofort tat. Angestrengt versuchte ich mich auf die Lichter der Stadt zu konzentrieren, doch mein Geist wollte nicht mi t machen. Meine Gedanken drehten sich nur noch um den U n fall. Und wie wir alle - jeder auf seine Weise - versuchten, mit diesem fürchterlichen Schicksal fertig zu werden.
Dawn of the Dead
Die nächsten Wochen bis zur Zeugnisvergabe verliefen wie ein schlechter Film, den ich nicht stoppen konnte. Ich versuchte, in der Schule aufmerksam zu sein und den Unte r richtsstoff aufzuholen. Wenn ich mich mit aller Kraft auf die Lerninhalte konzentrierte, konnte ich nach anfänglichen Schwierigkeiten abschalten, und das tat mir gut. Meine Mutter fragte andauernd, wie es mir ging, und hatte ständig Sorge n falten auf der Stirn. Wenn sie mich über meinen Büchern sah, war sie ein wenig beruhigt.
Doch ich konnte und wollte mich nicht hinter dem Lernen verstecken, denn im Grunde sehnte ich mich nach Sergio.
Ich sah ihn kaum.
Jeden Tag rief ich ihn an und fragte, wann wir uns mal wieder treffen könnten. Und beinah jedes Mal bekam ich zu hören, dass er entweder zum Training müsse oder zu müde vom selbigen sei, um noch etwas anderes zu unternehmen. Dabei wollte ich einfach nur bei ihm sein, auch wenn wir nur schweigend nebeneinandersitzen würden.
Einmal hatte er behauptet, er habe keine Zeit, weil er sich mit seinem Coach besprechen müsse, aber dann rief er mich zurück und meinte, wir könnten uns doch für wenigstens eine Stunde sehen. Er sprach die Karten fürs Musical an und sagte, ich könne mit ihnen machen, was ich wolle, aber er sei kaum in der Verfassung, mich zu begleiten. Ich war beinah verletzt, als er das sagte. »Glaubst du, ich bin in Stimmung dafür?«, gab ich verständnislos zurück. Ich schenkte die Karten Seyda, ohne ihr die ganzen Hintergründe zu erklären, denn das hätte mich einfach zu viel Nerven gekostet.
Sergio benahm sich mir gegenüber nach wie vor zurüc k haltend und wenig emotional. Mich zu treffen, schien ihn zu überfordern. Ich musste wirklich jegliches Vertrauen in unsere Beziehung zusammenkratzen und lange innere Monologe fü h ren, um den Glauben an Sergios Liebe für mich nicht zu ve r lieren. Aber ich sagte mir immer und immer wieder, dass die Umstände schuld daran waren, wie es gerade um uns beide stand.
Sergios Stimmung wirkte oftmals wie gedämpft, als hätte er Drogen eingeworfen. Aber das konnte ich mir beim
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