Verscharrt: Thriller (German Edition)

unruhig.
    » Gibt’s keine Möglichkeit, das irgendwie zu beschleunigen? «
    » Ausgraben ist ein destruktiver Prozess « , sagt Bradley, ohne sich umzudrehen. » Man hat nur einmal die Chance, es richtig zu machen. «
    Bradley arbeitet zügig, aber sorgfältig. Der Schweißfleck auf seinem Hemd wächst in demselben Maß wie das Loch. Es dauert mindestens eine halbe Stunde, bis er auf etwas anderes als Erde stößt. Aber als er das tut, ist das Geräusch so durchdringend, dass alle anderen zusammenzucken. » Hier haben wir jemanden « , sagt Bradley. » Nackt, kopflos, zierlich. «
    Bradley dreht sich auf den Knien um und streckt den Arm aus. Auf seiner Kelle liegt ein Feuerzeug in der Form eines weiblichen Oberkörpers mit abstehenden Titten.
    In der darauffolgenden Stunde finden Bradley und sein Sieb einen Gegenstand nach dem anderen– eine alte U-Bahn-Münze, wie O’Hara sie in Hendersons Zigarrenbox gesehen hat, ein paar ausländische Münzen, eine Murmel, einen gefalteten 20-Dollar-Schein, ein kleines Plastiktütchen mit Gras und noch ein paar größere Gegenstände: eine CD , ein Schweizer Armeemesser und eine Halbliterflasche Whiskey. Die Praktikantin packt sie jeweils in einen Plastikbehälter, und während einer der vielen Unterbrechungen tritt O’Hara näher heran, um sich das Ganze genauer anzusehen. Es handelt sich um ein bunt gemischtes Sammelsurium, und in dem Versuch, Sinn in die Gegenstände und deren mögliche Verbindung untereinander zu bringen, zieht O’Hara ihr Notizbuch aus der Tasche und notiert alles, was Bradley bislang ausgegraben hat: » 1 Feuerzeug, 1 U-Bahn-Münze, 2 Münzen– 5 Pesos, 25 Yen–, 1 Jointklammer, 1 Murmel, ein 20-Dollar-Schein, ½ l Ballantine’s, 1 Schweizer Armeemesser, 1 künstliche Perle, 1 CD , 1 kleines Tütchen Gras. «
    Von den Dingen in der Tupperdose nimmt zuerst der Ballantine’s O’Haras Aufmerksamkeit gefangen, nicht weil er gut und alkoholisch ist, sondern weil er noch nicht geöffnet wurde. Warum wirft jemand eine neue, ungeöffnete Flasche Whiskey weg? Ihre Unversehrtheit unterscheidet sie vom Rest der Gegenstände, bei denen es sich um beliebigen Stadtmüll zu handeln scheint, der sich hier über die Jahre angesammelt hat. Aber als sie die Dinge genauer in Augenschein nimmt, fällt ihr auf, dass auch das Tütchen Pot noch verschlossen ist. Während O’Hara, so gut es durch den Plastikdeckel geht, über der Sammlung brütet, legt die Praktikantin ein weiteres New Yorker Artefakt dazu– eine am 6.1.2007 abgerissene Eintrittskarte des Sunshine Cinema für einen Film mit dem Titel Das Leben der Anderen. Das Datum überrascht O’Hara. Das ist nicht mal drei Monate her, und ebenso wie der tadellose Zustand der Whiskeyflasche sowie einiger anderer Gegenstände passt es kaum zu einem siebzehn Jahre alten Mordfall. Dann erinnert sie sich an Bradleys Bemerkung über das » opportunistische Wachstum « . Mag sein, dass nichts über menschlichen Dünger geht, aber würde er auch nach siebzehn Jahren noch Gänseblümchen sprießen lassen? Als die Praktikantin wieder in der Nähe ist, bittet O’Hara sie, die CD umzudrehen. Es ist ein Album von Coldplay mit dem Titel X&Y , das laut Hülle 2005 veröffentlicht wurde. O’Hara wird in ihren Berechnungen von Daten und Terminen durch Bradley unterbrochen, der einen weiteren Fund vermeldet.
    » Was Weiches « , sagt er fast wie zu sich selbst. Bis jetzt war alles, was Bradley gefunden hatte, hart und recht klein gewesen.
    Als der Forensiker aus dem Grab klettert, sieht O’Hara, dass das Loch in seiner gesamten Länge und Breite gut einen halben Meter tief abgetragen wurde. Bradley, der jetzt schweißgebadet ist, nimmt einen langen Schluck aus einer Wasserflasche, geht wieder an seine Brotdose und holt einen Pinsel und ein einzelnes Essstäbchen heraus, diesmal eins aus Holz. Wieder im Loch, entfernt Bradley damit die Erde von dem weichen Ding.
    » Ist eine Art Stoff « , sagt er, und wenige Minuten später: » Das ist der Schirm. «
    Er tritt zurück, damit der Lieutenant und die beiden Detectives ungehindert einen Blick darauf werfen können. O’Hara sieht, dass er vom Schirm einer Basecap spricht, deren Kante gen Himmel zeigt. In den folgenden zehn Minuten wird der gesamte marineblaue Schirm freigelegt, dann der Rest der Kappe mit dem » NY « der New York Yankees. Der Schnitt ist ziemlich aktuell; mit Sicherheit ist sie keine siebzehn Jahre alt. Offensichtlich ist das auch Kelso aufgefallen, dessen stechenden