Verscharrt: Thriller (German Edition)
Schachtel, ganz unten, liegt eine Plastiktüte. Als O’Hara hineinschaut, sieht sie Levins alte seidene Boxershorts mit dem Davidstern auf dem Bein und seine erschreckend zarten Schnürstiefel.
» Als wollte man in Unterhose und Ballettschuhen in den Krieg ziehen. «
» Ich finde, wir sollten Sharon die Nadel schenken « , sagt Wawrinka. » Gott weiß, sie hat sie verdient. Außerdem hat sie Bens letzten Kampf gesehen. Am 5. Februar 2007 bei Sweet Tomatoes, gewonnen nach drei Sekunden in der ersten Runde durch K.o. «
» Wenn du Sweet Tomatoes und den Golfplatz mitzählst, hatte Levin möglicherweise die längste Karriere in der Geschichte des Boxens. Wir schenken Sharon die Nadel, und ich rufe Sol an wegen dem Rest. «
Während Wawrinka die Treppe zu Di Nunzio hinaufgeht, kehrt O’Hara auf die kleine Veranda zurück, nimmt ihr Handy raus und ruft Klinger an. » Sol. Hier ist Darlene O’Hara. Ich bin gerade bei Ben zu Hause. Wir haben ein paar Sachen gefunden, die Sie sich ansehen sollten. «
» Kann das nicht bis morgen warten? «
» Nein, wir brauchen Sie jetzt. Ich muss in einer knappen Stunde zum Flughafen. «
» Aber Petit schlägt einen One-Hitter. Das wird super. «
» Sol, seien Sie kein Schmock. Schieben Sie Ihren Arsch hier rüber, aber pronto. Und kommen Sie bitte hintenrum zur Veranda. «
Zwanzig Minuten später hört O’Hara den großen Lexus in die Auffahrt biegen. Dann klappt die schwere Tür zu, und Klingers Schritte tapsen zuerst auf dem Zement und knirschen dann übers Gras. Als er um die Ecke biegt, sieht O’Hara seine weißen Lederschuhe.
» Sol, hier oben. «
» Ich sehe Sie, Darlene. Das ist doch verrückt. «
» Ich hab eine Frage. In den Nächten, wenn Ben einen Kampf hatte und bei Ihnen vorbeikam und unter Ihrem Fenster stand, wissen Sie noch, wie er da gepfiffen hat? «
» Als wär’s gestern gewesen « , sagt Klinger. » Zweimal, einmal lang, einmal kurz, so. «
Klinger will pfeifen, bricht aber in Tränen aus, bevor er einen Ton rausbekommt. O’Hara beugt sich über das Geländer und lässt die Tüte bis auf einen halben Meter über seine ausgestreckten Arme runter.
» Hey Sollie, fang. «
TEIL III
KAPITEL 45
O’Hara hat zwei Dinge aus Sarasota mitgebracht– eine aufkeimende Erkältung, dank Jet Blue Airlines, und den Strathmore-Skizzenblock, den sie bei Publix in ihren Einkaufswagen geworfen hatte– und an ihrem ersten Vormittag zurück in der Stadt, legt sie den Block neben ihren Wodka mit Grapefruitsaft auf den Tresen im Milano’s. Während sie sich erneut an das gespenstische Halbdunkel der Innenstadt-Spelunke gewöhnt und über die ausbleibenden Fortschritte bei ihren Ermittlungen grübelt, blättert sie die Seiten um, bis sie an der Skizze von Levins Holzlöffel hängen bleibt, die sie in der Telefonzelle der öffentlichen Bibliothek von Longboat Key angefertigt hat.
Die grobe Darstellung erinnert O’Hara an ihren Besuch bei Fran Lebrie, und unter den Löffel zeichnet sie nun einen Pfannenwender.
Gar nicht schlecht, denkt O’Hara. Ordentlich gerahmt könnte sie ihr Werk vielleicht der Galerie in Chelsea verkaufen, die den großen verstorbenen Freek Staps ausstellt. Unter der Überschrift Cop Art. O’Hara kann sie hören– nicht die Zeichnungen, sondern die Kochutensilien, oder zumindest die Geräusche, die sie machen, wenn sie an das Gehäuse eines Wasserboilers geschlagen werden. Wenig später hat sich eine hübsche kleine Rhythmusgruppe in ihrem Kopf versammelt, Lebries Plastikpfannenwender klappert, unterbrochen vom stumpfen Klopfen von Levins Löffel. Der Pfannenwender klingt zart und fein und eher nach Jazz. Der Löffel ist Rock’n’Roll, wie die Kuhglocke am Anfang von ›Mississippi Queen‹ von Mountain.
Die entfernten Klänge lenken O’Haras Aufmerksamkeit auf einen Unterschied zwischen den beiden Schlagzeugern. Irgendwann recht früh muss Levin aufgehört haben zu klopfen und in sein Schlafzimmer zurückgekehrt sein, um die Täter zur Rede zu stellen, Lebrie dagegen tat, wie ihr geheißen, und hielt im Keller den Takt. Wieso kam Levin schneller als Lebrie darauf, dass die beiden Kerle vom Wasseramt Betrüger waren? Lebrie ist eine clevere alte Dame, trotzdem klopfte sie, bis die Täter und ihr Schmuck über alle Berge waren. Levin schnappte sich sein Gewehr und ging in den Flur. War ihm etwas aufgefallen, das sie übersehen hatte, oder lag es einfach nur an seinem Temperament? War er leichtsinniger als Lebrie? Ihre Furcht davor, die
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