Verscharrt: Thriller (German Edition)
Wochen lang mit der Band geprobt. Im Prinzip ist das jetzt gleich eine Bewährungsprobe. Wenn’s gut läuft, ist alles im Lack. Bau ich Scheiße, heißt es Auf Wiedersehen. Du solltest dableiben, die sind der Hammer. «
» Mach ich vielleicht sogar. Viel Glück. «
» Ich bin Silas. «
» Darlene. «
» Ehrlich gesagt, bin ich wahnsinnig nervös. Wie wär’s mit einem Glücksbringerkuss? «
» Kann ich nicht einfach ›Hals und Beinbruch‹ sagen? «
» Wahrscheinlich schon. «
» Gut « , sagt O’Hara. Während sie dem Schlagzeuger einen Kuss auf die Wange drückt, greift er uneingeladen nach ihrem irischen Hintern, packt einmal fest zu und rennt dann um die Ecke.
» Von wegen nervös! «
Wie jede anständige Frau, die gerade an einer Straßenecke vom neuen Schlagzeuger ihres Sohns begrapscht wurde, zieht O’Hara erneut ihr Handy aus der Tasche. Diesmal hört sie die Mailbox ab.
» Hey, Darlene, hier ist Sollie. Mir ist noch was eingefallen. Ein verflixtes Wunder, ja? Dachte, ich geb’s Ihnen lieber schnell durch, bevor ich’s wieder vergesse. Beim Essen hab ich Ihnen doch erzählt, dass Bun sich von irgendeiner Braut hat überreden lassen, das Schulgeld für ihren Sohn zu zahlen. Das war die erste Frau. Und die kleinere Summe. Die zweite hat ihn ordentlich geschröpft. Sie meinte, ihr Sohn sei mit einem kürzeren Bein geboren und müsse operiert werden, um das Bein zu verlängern. Ich bin ziemlich sicher, dass Bun die vollen Kosten übernommen hat– oder zumindest hat er’s geglaubt–, was ein schöner Batzen gewesen sein dürfte, an die Hunderttausend. «
In Sachen Dreistigkeit, denkt O’Hara, kommt das auf jeden Fall an den Trickbetrüger ran, der seinen Sohn mit zur Arbeit nimmt. Der Junge hinkt, weil sich niemand um sein gebrochenes Bein gekümmert hat, und sein Hinken wird anschließend zum Vorwand, um einen alten Herrn um 100 000 Dollar zu erleichtern.
In mehreren Blogs und sogar einem kleinen Artikel in The Village Voice waren die Flat Screens mit der Frage angekündigt: » Sind die Flat Screens die neuen Television? « Das Hinterzimmer ist brechend voll, und O’Hara hat Glück, dass sie noch einen Stehplatz zwischen Jukebox und Passbildautomat findet. Nach einer Woche bei den gebrechlichen Alten von Longboat Key macht es Spaß, ringsum von aufgeregten jungen Menschen eingezwängt zu werden, und als ihr eigener zwanzigjähriger Sohn glatt rasiert und ohne Bart ans Mikro tritt, treiben ihr die Schönheit und die Verletzlichkeit seines blassen sommersprossigen Gesichts fast Tränen in die Augen.
» Willkommen « , sagt Axl, » zum alles entscheidenden zweiten Konzert. Eines Tages werden wir gut genug für Williamsburg, Bushwick oder sogar Red Hook sein. Aber erst mal sind wir noch bescheidene Rockanfänger, die dankbar sind, wenn sie irgendwo spielen dürfen, auch wenn’s in Manhattan ist. Also danke, dass ihr gekommen seid. Ich weiß, wie sehr die Fahrt hierher nervt und wie deprimierend es ist, wenn man erst mal da ist. « Die tätowierten jungen Männer und Frauen klatschen und trampeln wie eine ungeduldige Zuschauermenge, die beim Football die Nationalhymne überbrüllt, und ein nicht mehr ganz junger weiblicher Detective steckt zwei Finger in den Mund und pfeift.
Endlich fängt die Band an zu spielen. Das Tempo ist getragen und der Sound matschig, bis sich » When You Were Mine « herauskristallisiert. Von allen Prince-Songs hält O’Hara diesen für den besten, und sie erinnert sich an den Abend, an dem sie ihn Axl zum ersten Mal vorgespielt hat. In der Version der Flat Screens weicht der Synthiepop des Originals einer drei Meilen langen Schotterstraße. Was die herzzerreißende Schlichtheit des Refrains unterstreicht– » I love you more than I did… when you were mine « – und macht unmissverständlich klar, wie schwer es ist, das zu schätzen, was man hat.
Auf die Coverversion des Prince-Songs folgen fünf eigene Stücke, von denen O’Hara nur zwei bereits aus dem Ukrainian-Center kennt. Trotz des Lärms, der Aufregung und des Gedränges kehren O’Haras Gedanken unweigerlich zu Sollies Nachricht auf ihrer Mailbox zurück. Mitten im schweißnassen Krawall kommt ihr der Gedanke, dass Sollie möglicherweise ihre Frage, warum Levin so viel früher als Lebrie aufgehört hat, auf den Boiler zu schlagen, beantwortet hat.
Vielleicht hatte Ben das Hinken des Jungen gesehen und sich an das Geld erinnert, das er für dessen Behandlung gezahlt hat, eins und eins zusammengezählt
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