Verschieden - ein Mira-Valensky-Krimi
üble Sache mit missverständlichen Fotos. Wenn ich nur an die denke, die Sie mit dem Weinstock bei Sonnenaufgang zeigen …«
Er reißt die Augen auf. »Sie haben versprochen, die zu vernichten.«
»Es ist doch nichts Schlimmes daran, oder? Warum sollten Sie nicht einen Weinstock umarmen und küssen? Es war doch bloß Teil eines Selbstfindungsseminars und …«
»Hören Sie auf, wo sind die Bilder?«
»Auf meiner Festplatte. Ich muss sie ja nicht ausdrucken oder verschicken …«
»Das ist Erpressung«, ruft er.
»Ja«, antworte ich und gehe lächelnd ab. Und für einen Moment scheint es mir, als würde diese Dauerlächlerei doch einen fröhlicheren Gemütszustand bewirken.
»Was grinst du so glücklich?«, fragt Droch hinter mir, als ich auf meinen Schreibtisch in einer abgetrennten Ecke des Großraumbüros zustrebe. Dass Rollstühle auch so lautlos sind.
»Was hältst du von Gerda?«, frage ich zurück.
»Von wem?«
»Gerda Hofer, unserer Fotografin.«
»Ein nettes Mädchen.«
»Sie ist neununddreißig.«
»Ja und? Willst du mich verkuppeln?«
»Das hätte gerade noch gefehlt. Die hat schon genug damit zu tun, dass sich ihr Mann scheiden lassen will.«
Droch folgt mir zum Schreibtisch, und ich erzähle ihm flüsternd die Geschichte, unter besonderer Berücksichtigung der Position des Chefredakteurs.
»Sieht ihm ähnlich«, ist sein kurzer Kommentar. »Aber ganz abgesehen davon: Ich kann mir schon vorstellen, dass ihr Mann Probleme mit dem Selbstverwirklichungstrip hat.«
Ich ächze. »Du lebst wirklich noch im vorigen Jahrtausend. Schon mal etwas davon gehört, dass Frauen das gleiche Recht auf einen Beruf und eigenes Geld haben wie Männer?«
»Ja, schon einmal etwas davon gehört, und ich bin sogar einverstanden, Miss Feministin. Aber nur, wenn die Familie nicht darunter leidet.«
»Die ist ja nicht nur ihre Angelegenheit, und die leidet ja auch gar nicht – nur ihr Mann mag keine Veränderung. Du hättest sehen sollen, wie er sie hysterisch am Weggehen hindern wollte.«
»Er leidet. Das mit der Selbstverwirklichung hätte sich deine Gerda überlegen sollen, bevor sie geheiratet und Kinder gekriegt hat. Es gibt eben auch so etwas wie Verantwortung.«
»Mit zwanzig? Sie hat sich eben weiterentwickelt.«
»Und ihr Mann soll ihre Midlifecrisis büßen?«
»Du hältst wirklich zu dem Typen, der Liebesschwüre erpresst und sie gleichzeitig von einem Detektiv beschatten lässt?«
»Immerhin war sein Verdacht berechtigt. Und wenn du schon so fragst: Ich halte nicht zu ihm, ich halte zu niemandem, sondern versuche dir nur wieder einmal zu erklären, dass nicht alles schwarzweiß ist.«
Als ob ich das nicht selber wüsste. »Hast du nie an Scheidung gedacht?«, frage ich ihn nach einer kurzen Pause.
Droch kratzt mit seinen langen, schmalen Fingern an der Armlehne seines Rollstuhls herum. »Vielleicht. Ganz selten.« Dann sieht er mir voll ins Gesicht und lächelt wehmütig. »In ein paar verrückten Momenten …«
Es gab eine Zeit, da wären wir uns beinahe näher als nah gekommen. Ich lächle zurück, und das hat gar nichts mit Jan Winter’scher Gesichtsgymnastik zu tun.
Droch räuspert sich und wird wieder ruppig. »Aber praktisch gedacht: Wer will schon mit einem querschnittgelähmten alten Egoisten zusammenleben – außer meiner Frau, und die hat sich eben daran gewöhnt. Und ich hab mich an sie gewöhnt. Was auch nicht ganz einfach war. Mir ist es recht, wenn daheim alles seinen gewohnten Gang geht. Und noch etwas, das ich im Laufe meines langen Lebens herausgefunden habe: Man kann weder mit noch ohne Frauen glücklich leben.«
»Also sind in jedem Fall die Frauen schuld, dass du nicht glücklich leben kannst?«, spöttle ich.
»Nein. Ich bin daran schuld, dass ich nicht mit einer Frau leben, aber genauso wenig ohne Frau sein kann. Ende des philosophischen Exkurses.«
»Und«, hake ich nach, »das gilt für alle Frauen? Dabei ist es völlig egal, um welche Frau es sich handelt?«
»Völlig.«
Ich grinse und überlege gleichzeitig, ob er es nicht doch ernst meint.
»Nicht völlig«, fährt er weicher fort. »Zufrieden?«
Ich nicke.
Die nächsten Tage gehören zu jenen, die von Alltag und Kleinkram aufgefressen werden. Einmal habe ich eine Reisekostenabrechnung schlampig gemacht, dann muss ich meinen kleinen Fiat vom Service abholen. Die Fitnessreportage wird in drei Teilen erscheinen und soll – vor allem für unsere Anzeigenkunden – vorab beworben werden.
Danach folgen
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