Verschieden - ein Mira-Valensky-Krimi
dann früh schlafen gehen. Die Szene im Klinikpark hat sich mir offenbar mehr aufs Gemüt geschlagen als Vesna. Als ich bei der Pizza noch einmal davon angefangen habe, hat sie bloß gemeint: »Ist eben Berufsrisiko, bin gute Läuferin. Kommt übrigens ganz selten vor, so etwas.« Und das hat beinahe bedauernd geklungen.
Ich sehe, dass mein Anrufbeantworter blinkt, seufze, lasse dann doch Neugier über Faulheit siegen und höre die Nachricht ab. Sie stammt von Gerda.
»Hallo Mira, ich erreiche weder dich noch Oskar, noch Dr. Beer. Er will die Kinder! Er hat mir einen Brief geschickt, der gleichzeitig auch an das Gericht geht, und darin behauptet er, Claudia sei wegen meines Lebenswandels – das steht wörtlich so drin – ausgezogen und Philipp habe wegen mir in psychologische Betreuung müssen. So eine Sauerei. Claudia wohnt seit Monaten kaum mehr daheim, und das sicher nicht wegen mir, vielleicht ein bisschen wegen unserer Auseinandersetzungen, aber vor allem, weil Andis Eltern ein großes Haus mit Swimmingpool haben, und das ist noch dazu nahe bei der Schule, und ihre Freunde sind fast alle in der Nähe. Soll ich sie, wie Helmut das früher versucht hat, mit Zwang daheimhalten? Und das mit Philipp, das ist die größte Frechheit. Ich hab dir ja erzählt, er ist in einer schwierigen Phase, und meine Schwester, die Psychologin ist, hat gemeint, sie kennt einen sehr guten Jugendpsychologen. Und bei dem ist Philipp jetzt einige Male gewesen, wir haben ihn dorthin geschickt, damit er seine Wut auf den Vater loswird, und dann schreibt der so etwas. Ich halte das nicht mehr aus. Wenn er mir die Kinder nimmt … Wer war denn bei ihnen daheim, während er die Praxis aufbauen konnte, die jetzt ja allein seine Sache und sein Betriebsvermögen sein soll. Ich wollte die Kinder nie reinziehen, nur das nicht, ich wäre sogar mit ihm zusammengeblieben, wenn ich das dadurch hätte verhindern können. Und dann hat er noch einen Brief an die Praxisbelegschaft geschrieben und mir eine Kopie zur Kenntnis hingelegt. Wir sehen uns zu Hause ja nicht mehr, ich bin ja in der Gästewohnung. Ich muss endlich das Schloss austauschen, wer weiß, wie oft er schon bei mir herumgeschnüffelt hat. Dieser Brief, ich muss ihn dir vorlesen, sonst platze ich.
›Sehr geehrte Praxismitarbeiter‹ – als würden bei ihm nur Männer arbeiten –, ›ich muss Ihnen leider mitteilen, dass ich ab sofort meine Ehe für beendet betrachte. Dementsprechend weise ich Sie an‹ – das musst du dir vorstellen, weise ich Sie an! – ›meiner Exfrau‹ – so als ob wir schon geschieden wären! – ›den Zutritt zu den Betriebsräumlichkeiten zu verwehren. Es tut mir sehr leid, dass es zu diesem Schritt kommen hat müssen. Aber obwohl ich mich monatelang langmütig, verzeihend und immer wieder um das Gespräch bemüht verhalten habe‹ – du hast ja gesehen, wie er sich aufführt – ›hat sie mutwillig unsere Ehe ruiniert, die Kinder vernachlässigt und mich mit ihren zahlreichen Affären zum Gespött der Leute gemacht. Ich bin psychisch und physisch am Ende und bitte Sie alle, mir in den nächsten Tagen und Wochen meine Verfassung nachzusehen. Ich werde alles Menschenmögliche tun, um mir meinen Patienten gegenüber nichts anmerken zu lassen. Ihnen danke ich für Ihr Verständnis und Ihre Solidarität, es ist das Einzige, was mir nach Jahrzehnten harter Arbeit und Fürsorge für das, was ich für meine Familie gehalten habe, geblieben ist.‹ – Ist das nicht irre? Das ist doch nicht zu glauben, oder? Ich kann nicht einmal mehr in die Praxis, er hat das Schloss ausgewechselt. Wer ist dort gesessen, als er sich noch keine Sprechstundenhilfe hat leisten können? Ich war das, nebenher die beiden kleinen Kinder. Und die Kinder lasse ich mir nicht nehmen, das schwöre ich, und wenn er mir alles nimmt. Ich sollte wegen Verleumdung und Rufschädigung klagen, oder was es da alles gibt, er kann doch nicht öffentlich behaupten, ich hätte zahlreiche Affären gehabt! Und er sei langmütig und immer verzeihend, das ist wirklich das Letzte. Und wie er mich Nacht für Nacht mit Aussprachen gequält hat, bei denen es immer um das Gleiche gegangen ist. Bitte ruf mich zurück, sobald du das hörst. Danke, ciao.« Aufgelegt.
Ich atme durch. Liebe Güte, ihr Mann ist offenbar wirklich nicht ganz dicht. Aber bevor ich sie zurückrufe, möchte ich mit Oskar reden. Ich erreiche ihn weder am Mobiltelefon noch in der Kanzlei. Was hat er gesagt? Irgendein Termin mit einem
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