Verschieden - ein Mira-Valensky-Krimi
Bosnien wird diese Sache mit Familie sehr wichtig genommen. Er sagt, sie kommen nur nicht mit ihm, weil er bloß Stiefvater ist und er auch nicht ihr Vormund ist, sondern das bin ich. Dabei war das damals klar, und wer hätte es ändern sollen?«
»Siebzehnjährige sind eben nirgendwo einfach.«
»Du sagst es.« Sie seufzt.
Mir fällt meine Schulkollegin Verena ein, die im Herbst ein Kind kriegt. Wenn das Kind siebzehn ist, wird sie sechzig. Aber seit wann glaube ich, dass ein glückliches Leben von Zahlen abhängt? Man ist so jung oder alt, wie man sich fühlt, das ist banal, und trotzdem ist eine Menge dran. Vielleicht ist das mit ein Grund, warum sie schwanger werden wollte: um sich länger jung fühlen zu können?
Ich suche in meinem Computer die Unterlagen zu Peter Königsberger heraus, ja, ich habe die Adresse noch. Am besten, ich überrasche ihn.
Seine Wohnung ist nicht weit von der Redaktion entfernt, ich fahre zwei Stationen mit der U-Bahn. Ich erkenne das Haus wieder. Damals war ich mit Gerda da, damals hat es angefangen. Hat sie nicht vorsichtiger sein können? Jetzt denke ich schon wie ihre Tochter.
Ich nehme wohl oder übel die Treppen, ich kann mich an das Stockwerk nicht mehr erinnern. Da: dritter Stock, Königsberger. Ohne mir allzu viel im Vorhinein zu überlegen, läute ich. Schnelle Schritte, ein Schlüssel dreht sich im Schloss. Und ich stehe vor einer Frau. Darauf war ich nicht vorbereitet.
»Kann ich Herrn Königsberger sprechen?«, frage ich. »Ich kenne ihn von einer Reportage her, mein Name ist Mira Valensky, vom ›Magazin‹.« Vielleicht hilft das. Die Frau ist zirka in meinem Alter, blonde Kurzhaarfrisur, ungeschminkt, wache braune Augen, freundliches Gesicht.
»Tut mir leid, er ist joggen. Aber er muss jeden Moment wiederkommen. Wollen Sie auf ihn warten?«
»Wenn es keine Umstände macht?«
Sie fragt nicht, worum es geht, und das ist mir auch lieber so. Wer weiß, ob seine Ehe wirklich so offen ist, wie er das Gerda gegenüber dargestellt hat. Ich könnte mir so etwas schwer vorstellen. Entweder ich will mit jemandem zusammen sein, oder ich will es nicht. Wahrscheinlich bin ich altmodisch. Oder bloß unerfahren, was die Ehe betrifft. Das soll sich ja bald ändern.
»Natürlich macht es keine Umstände.« Sie führt mich in ein helles, großes Wohnzimmer, in dem es rundum Bücherregale, aber, abgesehen von einer breiten und schon etwas abgesessenen Ledergarnitur samt Couchtisch, keine Möbel gibt. Gemütlich.
»Darf ich Ihnen etwas zu trinken bringen? Kaffee? Wasser?«
Ich höre, wie die Eingangstür geöffnet wird, auch sie hat es gehört. »Das muss er sein, einen kleinen Moment.« Sie geht nach draußen, sie reden halblaut miteinander, ich kann die Worte nicht verstehen.
Dann steht Peter Königsberger im Zimmer, er ist ehrlich gesagt nicht besonders attraktiv: mittelgroß, etwas untersetzt, und am Stirnansatz hat er sicher schon einmal mehr Haare gehabt. Ganz abgesehen davon, dass er durchgeschwitzt ist und ich das sofort rieche.
»Hallo«, lächelt er, »was für eine Überraschung.«
Hat ihm Gerda nichts von mir erzählt?
Er zupft an seinem grauen T-Shirt. »Ich springe nur rasch unter die Dusche, so kann ich mich niemandem zumuten, ich bin gleich wieder da, ja?«
Ich nicke. Das klingt harmlos und freundlich, so als würde er annehmen, ich sei tatsächlich bloß auf einen Plausch vorbeigekommen.
Seine Frau bringt Mineralwasser. »Mir hat die Story im ›Magazin‹ damals sehr gut gefallen«, sagt sie und setzt sich mir gegenüber. »Peter war nicht so sicher, ob er mitmachen sollte, er hat es ganz gern, wenn niemand weiß, dass er an diesen Serien schreibt. Er muss nicht in der Öffentlichkeit stehen.«
Wir tratschen über Prominente und Mediengeile und darüber, dass Action in Krimiserien heutzutage leider mehr gefragt ist als Ironie. Wir schwärmen gerade vom guten alten »Kottan«, als Peter Königsberger zurückkommt. Sein schütteres Haar ist nass, in Jeans und T-Shirt sieht er jünger aus als im Laufgewand.
Seine Frau sieht auf die Uhr, steht auf und meint, sie müsse dringend weg, schön, mich kennengelernt zu haben.
»Sie ist Maskenbildnerin, die Werbeszene steht auf sie«, erklärt Peter Königsberger, nachdem sie sich verabschiedet und die Türe zugezogen hat.
Ich will mich nicht allzu sehr auf freundlichen Smalltalk einlassen. »Gerda ist in U-Haft, ihr Alibi war falsch.«
Er sieht mir lange ruhig ins Gesicht, ich habe keinen blassen Schimmer, was
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