Verschieden - ein Mira-Valensky-Krimi
das gekommen ist, ersparen Sie mir Details. Und dann habe ich diese Studentin kennengelernt, ich halte auch Kurse an der Universität. Plötzlich war der Zeitpunkt da, um mit meiner Frau über alles zu reden, und wir waren uns einig, dass wir bis auf weiteres zusammenbleiben wollen – sozusagen als allerbeste Freunde und Lebenspartner.« Er verstummt, zeichnet mit dem Finger Kringel auf die Tischplatte. »Ob das Liebe ist? Ich denke schon, es ist eine der vielen Formen, die es gibt.«
»Und ein ganz guter Schutz vor allzu engen neuen Beziehungen«, ergänze ich.
Er lächelt. »Vielleicht. Aber glauben Sie mir, Gerda ist unsere Beziehung gerade recht, wie sie ist. Ich liebe sie, aber muss man mit jemandem, den man liebt, unbedingt den Alltag teilen?«
Es ist dieser Satz, der mir noch im Kopf herumspukt, als ich zurück in die Redaktion fahre.
Dort sind alle in Aufruhr. Wenn etwas passiert ist, merkt man das in unserem Großraumbüro vor allem daran, dass alle telefonieren. Es hat einen Terroranschlag in der römischen U-Bahn gegeben, bei dem über zwanzig Menschen getötet wurden. Seit meinem Seminar gelte ich im »Magazin« als Terrorismus-Expertin, was dem Außenpolitik-Chef zwar gar nicht recht ist. Vor allem aber verfüge ich über persönliche Kontakte zu den EU-Verantwortlichen – dass die Leute von den US-Behörden nicht so gerne mit mir reden, muss ich ja niemandem auf die Nase binden.
Also verbringe auch ich den Rest des Tages am Telefon und versuche herauszufinden, wer hinter den Anschlägen steckt, wer sie geplant hat und wie sie mit den Anschlägen der letzten Monate zusammenhängen könnten. Im Internet tauchen die ersten Bekenner-Sites auf: von Al-Kaida-Splittergruppen, von Gruppen mit neuen fantasievollen Namen und natürlich auch von einer ganzen Menge einfacher Verrückter.
In der EU ist man auf die Informationen aus Italien angewiesen, in Italien hält man sich eher an die US-Behörden, die Geheimdienste misstrauen einander sowieso, es ist also das übliche Chaos, und die außenpolitische Redaktion hat eine besondere Idee: Unser nächstes Titelbild soll eine schwarz verschleierte Frau von hinten zeigen, dazu der Text: »Das Antlitz des Islam«. Was zählt schon das Schüren von Vorurteilen im Vergleich zu einer steigenden Auflage?
Der Chefredakteur beruft eine Sonder-Redaktionssitzung ein und klagt darüber, dass es bei diesen Terroraktionen auch nicht mehr viel Neues gebe. Gegen Abend haben wir die Storys fertig, das Heft ist umgeplant. Der EU-Terrorismusverantwortliche hat mir ein kurzes Telefoninterview gegeben, es wird einen zentralen Platz einnehmen, obwohl das, was er zu sagen hat, auch nicht neu ist: Besonnenheit, Achtung der Menschenrechte, lückenlose Aufklärung, Abwägen, Kampf den Radikalen, wobei er betonen wolle, dass die meisten Moslems friedlich seien. – Manchmal frage ich mich, wie lange noch. Auf einer halben Seite möchte ich ein Gedankenspiel unterbringen: Man stelle sich vor, es gibt irgendwo auf der Welt terroristische Katholiken (soll ja über die Jahrtausende schon vorgekommen sein), weshalb alle Katholiken misstrauisch betrachtet werden, auch wenn in der Öffentlichkeit immer wieder darauf hingewiesen wird, dass die meisten ohnehin friedlich seien. Einige werden vorbeugend eingesperrt, nicht alle von ihnen zu Recht. Ein paar junge Katholiken, die bisher vor allem wegen ihrer Eltern katholisch waren, finden, das ist eine Sauerei. Ein guter Prediger erklärt ihnen, sie seien die eigentliche Elite der Welt, nicht die, die immer wieder »gegen uns« hetzen. Man müsse für Gott in den Heiligen Krieg ziehen, um die Ungläubigen zu bekehren. Andere Katholiken beginnen sich vor Verfolgung und scheelen Blicken zu fürchten und schließen sich mit solchen Katholiken, die sie früher gar nicht gut leiden konnten, eng gegen den Rest der feindlichen Außenwelt zusammen, einfach zum Schutz. Ich finde, mir ist diese halbe Seite recht gut gelungen, aber der Chefredakteur eliminiert sie mit den Worten: »Man kann doch Katholiken nicht mit Moslems vergleichen, und außerdem haben wir zu wenig Platz.«
Ich bin müde und sauer und will gerade gehen, als das Telefon läutet. Oskar ist dran und meint, statt auf eigene Faust zu ermitteln, hätte ich besser Angelika Beer über Gerdas Festnahme informiert.
»Ich ...«, stottere ich, »ich habe gar nicht daran gedacht.«
»Es wird Zeit, dass du deine Feindseligkeit gegen Angelika ablegst. Sie ist eine sehr qualifizierte Anwältin, und
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