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Verschieden - ein Mira-Valensky-Krimi

Verschieden - ein Mira-Valensky-Krimi

Titel: Verschieden - ein Mira-Valensky-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wien/Bozen Folio Verlag
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Krankenstand ins Vergnügen davongeht.«
    Die Praxis von Gerdas Schwester ist in einem jener gesichtslosen Häuser untergebracht, die nach dem Krieg die Bombenlücken gefüllt haben. Graue glatte Fassade, kleine Fenster, gebaut, um nicht aufzufallen. Offenbar teilt sie sich die Räume mit zwei anderen Psychologen. »Praxisgemeinschaft Mayer – Novotny – Gutmann. Bitte läuten«, steht auf einem Schild neben der weißen Eingangstür im ersten Stock.
    Ich läute, die Tür geht mit einem Summen auf, ich trete ein. Gemütlicher heller Raum mit Polstersesseln, auf einem Tischchen die obligaten Zeitschriften, in einem Bücherregal ausschließlich psychologische Fachliteratur. Auf einem Schreibtisch ein Computer. Niemand da. Drei geschlossene Türen, alle hellbeige gestrichen.
    Ich will mich schon setzen, als eine Frau in meinem Alter mit einem Mädchen von zirka sechzehn Jahren aus der mittleren Tür kommt.
    »Alles klar, bis zum nächsten Mal.«
    »Okay«, erwidert das Mädchen, sieht mich kurz interessiert an und strebt dann Richtung Eingangstür.
    »Kommen Sie rein«, sagt Gerdas Schwester. So als wäre ich eine Patientin. Oder wie hat sie es genannt? Klientin.
    Ich setze mich ihr gegenüber, will das Gespräch beginnen und weiß nicht, wie.
    »Man kann in Menschen nicht hineinschauen, oder?«, sage ich und sehe zur Tür.
    »Kann man nicht«, bestätigt sie. »Genau das macht meine Arbeit so interessant. Trotzdem Gefühle, Gedanken, Ängste sichtbar zu machen. Weniger für die anderen als für meine Klienten selbst. – Aber deswegen sind Sie nicht da. Meine Schwester hat mich angerufen, ich muss mich um die Kinder kümmern, solange sie … festgehalten wird. Ich sollte längst bei ihnen daheim sein.«
    Ich nicke und erzähle ihr von meinem Gespräch mit Philipp.
    Sie lächelt etwas müde. »Woher soll ich wissen, ob er die Wahrheit sagt oder sich das alles aus den Fingern saugt? Beides ist möglich, würde ich sagen. Er versucht mit Sicherheit, seine Mutter zu schützen. Und er hat einen ziemlichen Zorn auf seinen Vater entwickelt. Vielleicht glaubt er, was er sagt. Vielleicht ist es aber auch wirklich wahr. Das muss wohl die Polizei herausfinden.«
    »Die glaubt ihm nicht.«
    »Sie wird es trotzdem überprüfen, denke ich.«
    Ich nicke. »Könnte er gewalttätig werden?«
    »Das ist eine schwierige Frage. In Extremsituationen ist jeder zu Gewalt fähig, denke ich. Auch wenn es mir zu Philipp nicht zu passen scheint, aber da bin ich vielleicht voreingenommen. Ich glaube, er ist in erster Linie verwirrt, verunsichert.« Sie schüttelt den Kopf. »Ausgeschlossen, dass er … einen Mord geplant hat.«
    »Was haben Sie eigentlich von Gerdas Mann gehalten?«
    Elisabeth Novotny spielt mit einem Kugelschreiber.
    »Ich hab mich damals gewundert, warum sie den Langweiler heiratet«, sagt sie dann. »Wissen Sie, Gerda war sehr lebenslustig, immer unterwegs. Ich bin zwei Jahre älter, war die viel Ruhigere, ich eher introvertiert, sie ziemlich extrovertiert. Nicht oberflächlich, nicht dass Sie das falsch verstehen, eher an allem interessiert und mit einer enormen künstlerischen Begabung.«
    »Und dann plötzlich Helmut?«
    »Sie sind sich im Studentenheim über den Weg gelaufen, in dem Helmut gewohnt hat. Sie hat dort eine ihrer ersten Vernissagen gehabt, Körperbilder hat sie sie genannt, es waren ein paar großartige Arbeiten darunter. Acryltechnik vor allem. Das mit dem Fotografieren hat sie erst später auf der Hochschule begonnen. Eines der Bilder hängt in unserem Besprechungsraum, kommen Sie.«
    Sie führt mich aus dem Zimmer, zurück in den Empfangsraum und dann durch eine andere Tür, dreht das Licht an. Ein großflächiges Bild, dominierende Farbe ist ein helles Orange, eigentlich nicht viel mehr als drei geschwungene Linien, ein Frauentorso, zurückgebeugt, Körper in voller Spannung, man erwartet, dass er jeden Moment nach vorne schnellt. Er scheint zu leben, heftig zu leben.
    »Sie hat gesagt, es sei ein Selbstporträt«, murmelt Elisabeth. »Lange her, mehr als zwanzig Jahre. Und jetzt sitzt sie in Untersuchungshaft.«
    Ich folge ihr zurück zum Schreibtisch. »Wie war er damals? Warum hat sie sich in ihn verliebt?«
    »Ich weiß es nicht. Ich glaube, es war eher umgekehrt. Er hat sich sofort in Gerda verliebt. Er stand damals gerade vor seinen letzten Prüfungen, er war fünf Jahre älter als sie. Und sie war ja zum Verlieben. Er war ernsthaft und zuverlässig, ein hervorragender Student. Und es hat ihr

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