Verschieden - ein Mira-Valensky-Krimi
entgegen. »Was sagst du?«, fragt er und dreht sich tatsächlich auch vor mir herum.
Ich will seine Euphorie nicht zerstören, aber aus der Nähe sieht er aus wie ein überdimensionaler Leichenbestatter.
»Irgendwie … zu schwarz«, sage ich und küsse ihn kurz. Das entzückt den Verkäufer, der neben ihm steht, sein grauer Schnurrbart vibriert.
»Gnädige Frau hat vielleicht Recht«, assistiert er mir.
Gnädige Frau, das hat mir gerade noch gefehlt. Ich brauche einen Ehevertrag mit Oskar, in dem er sich verpflichtet, mich nie in Gesellschaft zu verschleppen, wo solche Ausdrücke üblich sind.
Der Verkäufer redet unterdessen weiter: »Das Modell ist vielleicht etwas zu streng, ich habe da noch etwas anderes, muss aber erst sehen, ob ich es in Ihrer Größe …« Er verschwindet hinter Kleiderständern.
»Hätte es H & M nicht auch getan?«, frage ich Oskar.
»Das meinst du nicht ernst.«
»Halbernst schon, und deine Mutter weiß ohnehin nicht, was H & M ist, vielleicht hält sie es für einen Ableger von Z & K.«
»Unterschätze sie nicht. – Schau mal, den habe ich auch schon anprobiert.« Er zeigt mir einen anderen Anzug, ich sehe aufs Preisschild und falle beinahe um. Andererseits: Oskar kann sich das leisten.
Der Verkäufer kommt mit einem Anzug herbeigewieselt, schon im Gehen preist er seine Vorzüge, ein Gemisch aus Seide und Kammgarn und Alpaka, englische Verarbeitung – was immer das heißen soll –, »einfach perfekt für den eleganten Herrn«.
Das ist selbst Oskar zu viel, er hält das Modell etwas skeptisch von sich weg.
»Also los, eleganter Herr«, spöttle ich. Woraufhin der Verkäufer Oskar fragt: »Und für die gnädige Frau suchen wir auch etwas?«
Wer ist erstens »wir«? Und zweitens muss man sich nicht an Oskar wenden, man kann mich fragen, ich kann seit mehr als vierzig Jahren ganz gut selbst reden.
»Nein«, sage ich brüsk.
»Ja, bitte«, sagt Oskar gleichzeitig.
Ich schüttle den Kopf, und der Verkäufer sieht Oskar mitleidsvoll an. So etwas wie mich hat er sich wirklich nicht verdient, bedeutet der Blick.
»Ich dachte an ein helles Kostüm für dich«, meint Oskar sanft.
»Ich dachte an lässiges Leinen für uns beide«, blaffe ich zurück, »und so etwas kriegen wir hier sicher nicht.« Ist mir doch egal, was der Verkäufer von mir hält.
»Wäre mir auch recht«, murmelt Oskar. »Aber wir sollten meiner Mutter den Spaß nicht verderben. Ein Kostüm tut doch nicht weh, und du kannst es sicher hin und wieder brauchen.«
Der Verkäufer sieht auf meine nicht mehr ganz sauberen Jeans und fügt hinzu: »Sicher.«
Oskar verschwindet wieder in die Umkleidekabine.
»Wir haben selbstverständlich auch Leinenkostüme«, sagt der Verkäufer, als würde er meine Unfreundlichkeit gar nicht bemerken. »Soll ich Sie an eine Kollegin im ersten Stock … ? Ich denke, Frau Gertrud könnte Sie gut beraten.« Das klingt wie: Frau Gertrud ist eine, die mit dir schon fertig werden wird. Wahrscheinlich eine Freistilringerin im dezenten grauen Kleid mit flachen Schuhen.
Oskar erscheint wieder, und ich finde, dieser Anzug sieht exakt so aus wie der vorige, ich sehe sogar misstrauisch nach, ob er nicht zweimal denselben angezogen hat.
»Hast du eigentlich deine Eltern angerufen?«, fragt er, als der Verkäufer auf der Suche nach weiteren Unmöglichkeiten ist.
Ich schüttle den Kopf.
»Das solltest du aber dringend tun.«
»Mache ich heute am Abend.«
»Wie wäre es mit sofort?«
»Hier?«
»Warum nicht? Hier ist Ruhe genug, mehr Ruhe gibt es nirgendwo. Warum zögerst du das so hinaus? Oder sollen wir es ihnen lieber persönlich sagen? Wenn wir in einer Stunde losfahren …«
»Sicher nicht.«
»Dann ruf sie an. – Weißt du was, wir machen einen Deal: Wenn du deine Eltern jetzt auf der Stelle anrufst, dann suche ich nach einem dunklen, nicht zu fetzigen Leinenanzug, und du nimmst ein Leinenkostüm. Was hältst du davon?«
Ich überlege. Heißt es nicht, dass man in jeder Beziehung Kompromisse machen muss? Und solange es bloß um Kleidung oder einen Anruf geht … »Ich glaube nicht, dass sie da ein Leinenkostüm für mich haben – kann es auch ein Leinenanzug sein?«
»Dann schauen wir eben woanders. Aber … Kostüm wäre schon besser.«
Ich seufze und nicke und wähle. Oskar ruft währenddessen nach dem Verkäufer, er habe es sich anders überlegt, ob er ihm einen dunklen Leinenanzug anbieten könne?
Der Verkäufer wirft mir einen bösen Blick zu. Na bitte, es ist mir
Weitere Kostenlose Bücher