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Verschleppt

Verschleppt

Titel: Verschleppt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verhoef & Escober
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einen guten Draht zueinander?«
    »Wir rufen uns manchmal an, und ein paar Mal im Jahr fahre ich hin. Wir tragen einander nichts nach, ich ihm jedenfalls nicht. Bei mir ist es nun mal anders gelaufen als bei Maier. Meine Mutter lebt noch, und meine Eltern hassen sich nicht.«
    »Wo haben sie sich denn kennengelernt?«
    »In Amsterdam, in den Siebzigern.«
    »War er damals auch schon Soldat?«
    Joyce lächelte breit. »Nicht direkt, obwohl er ein paar Kniffe aus der Armee bestimmt auch in anderen Zusammenhängen praktisch angewandt hat. Er hat mit Haschisch gehandelt, das war damals der totale Boom. Meine Mutter war frisch aus Paramaribo gekommen und arbeitete in einem Krankenhaus in Amsterdam. Flint wurde dort eines Tages mit Verletzungen eingeliefert, nach einer aus dem Ruder gelaufenen Schlägerei. Er hatte keine Wohnung und zog bei meiner Mutter und meinen beiden Tanten ein. Er zeugte mich, blieb drei Jahre bei uns, und dann waren wir ihn erst mal eine Weile los.«
    »Denn …?«
    »Er wanderte in den Knast. Als er wieder rauskam, holte er sein Zeug ab, und danach hörten wir lange nichts mehr von ihm. Wir gingen davon aus, dass er tot ist. Als er irgendwann wieder auftauchte, weil er wissen wollte, wie es mir so ging, war er in der Fremdenlegion. Für ein gesetteltes Leben taugt er einfach nicht.«
    Joyce holte noch einmal ihr Telefon aus der Hosentasche. Noch immer keine Reaktion. Maier war jetzt fast zwei Stunden weg.
    »Weißt du eigentlich, warum er nie Kontakt zu Sil aufgenommen hat?«, hörte sie Susan fragen. »Sil wusste nicht mal, wer sein Vater war.«
    »Was ich von Flint weiß, ist, dass er nach dem Tod von Maiers Mutter des Öfteren versucht hat, zu ihm in Kontakt zu treten. Anscheinend hatte Maiers Großmutter etwas dagegen, vermutlich hat sie Flints Briefe einfach verschwinden lassen … Aber da wir gerade über ihn sprechen: Er ist jetzt schon zwei Stunden weg, das gefällt mir nicht.«
    Sie wählte seine Nummer. Das Telefon klingelte fünfmal, dann sagte eine Automatenstimme die gewählte Nummer an, gefolgt von der Mitteilung, dass der Teilnehmer momentan nicht erreichbar sei.
    Sie drückte das Gespräch weg. »Ich traue der Sache nicht, Susan.«
    »Ist er wirklich schon zwei Stunden weg?«
    »Ja, fast.«
    »Und wohin?«
    »Er wollte bloß zu dir in die Wohnung, um deine Sachen zu holen … sonst nichts. Das gefällt mir nicht. Das gefällt mir überhaupt nicht.« Joyce stand auf und griff nach ihrer Jacke. »Sorry, wenn ich dich jetzt allein lasse. Soll ich den Fernseher anmachen? Ich kann nicht einfach hier herumsitzen und abwarten, ich muss da hin.«
     

70
     
    Glänzende Flüssigkeit sickerte in transparenten, unregelmäßigen Linien von Maiers Kopfhaut, lief über seine Schläfen, seinen Hals und seine Wangen und tropfte der Schwerkraft folgend mit leisem, kaum hörbarem Ticken auf den Holzboden. Sein blaues Hemd hatte dunkle Flecken auf der Brust, war klitschnass unter den Achseln und klebte ihm am Rücken wie ein großes, dunkles T.
    Seine Muskeln waren aufs Äußerste angespannt. Sichtlich bebend wölbten sie sich unter der verschwitzten Kleidung. Seine Stirn und Unterarme waren von einem wirren Adernetzwerk überzogen: geschwollene Linien, die an verschiedenen Stellen durch die Schläge aufgeplatzt waren und deren hellroter Inhalt langsam, aber gleichmäßig herausströmte.
    Er starrte geradeaus vor sich hin, den Blick unverwandt auf einen Punkt in der Ferne gerichtet, auf einen Ort, den es dort nicht gab – nicht geben konnte –, den er sich vielmehr in Gedanken selbst erschaffen hatte, einen Ort, wo nur er allein herrschte und an den er zu glauben begonnen hatte.
    Sein Kopf knallte zur Seite. Ein Faustschlag.
    Und noch einer. Diesmal von rechts.
    Der Russe stand schräg über ihm und benutzte Maiers Kopf als Boxsack, drosch mit den Fäusten auf ihn ein. Links. Eins, zwei, drei … Rechts. Eins, zwei, drei … Links.
    Die Schläge kamen wohldosiert, mechanisch, wie Hammerschläge, alle gleich stark, so schien es ihm. Die Wucht ließ ihn unwillkürlich die Augen verdrehen, sein Kopf wurde zur Seite geschleudert – links, rechts  –, und aus seinen Lungen entwich ein hohles Stöhnen.
    Dann hörte es auf.
    Seine Ohren rauschten wie eine unruhig vor sich hin brummende Stereoanlage. Maier holte den Kopf wieder nach vorn, kniff die Augenlider zusammen und versuchte, in der kleinen Welt, in dem schönen Traum zu versinken, der sich an der Wand von Susans Wohnung abspielte,

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