Verschleppt
lief – Blut, vermischt mit Rotz –, und fing laut zu lachen an, wobei das silberne Tape seine Stimme erstickte. Tränen traten ihm in die Augen.
Plötzlich sprang der Russe auf, so abrupt, dass auch Maier unvermittelt innehielt. Wadim stand regungslos da und lauschte, dann ging er zu dem Fenster beim Esstisch und kehrte wieder zurück. »Wie interessant«, schmeichelte er Maier ins Ohr. »Wir bekommen Besuch.«
Wadim hatte diese Frau noch nie gesehen, aber ihr unruhiger Blick erlaubte es ihm, sie sofort richtig einzuordnen. Dies war keine Einbrecherin.
Sie gehörte zu Maier.
Schwarze Haut, schwarze Kleidung, ein kleiner Rucksack. Die Art und Weise, wie sie sich über das Balkongeländer schwang, sorgfältig und beherrscht die Füße aufsetzte und sich geschmeidig duckte, die Flügeltüren im Blick behaltend, ließ keinen Raum für Zweifel: Die Hilfstruppen waren angekommen.
Während sie anfing, ihre Sachen zu kontrollieren, spurtete Wadim zur Wohnungstür, warf einen Blick durch den Spion und lief direkt weiter in die Küche, um nach draußen zu schauen, auf die Straße vor dem Haus. Nichts regte sich. Alles war ruhig, die meisten Parkplätze waren frei, die restlichen von Anwohnern belegt.
War sie allein?
Er lief zurück zu den Terrassentüren, presste den Rücken an die Wand und dachte nach. Wenn sie hineinspähte, konnte sie ihn dort, wo er jetzt stand, nicht entdecken. Maier hingegen war durch den Spalt zwischen den zugezogenen Vorhängen wahrscheinlich sichtbar.
Der saß mit gefesselten Füßen und Knien auf einem hölzernen Küchenstuhl. Seine Beine waren angeschwollen und violett verfärbt; an den Stellen, wo der Baseballschläger aufgekommen war, glitzerten dunkelrote Schürfwunden. Seine Handgelenke waren festgezurrt und hinten an die Stuhllehne und -beine gebunden. Maiers nackte Füße standen genau wie die Stuhlbeine in dem Blut, das aus seinem Körper lief. Flecken, Striemen, Tropfen, Schlieren, Lachen in allen Nuancen von Rot.
Ein erwachsener Mann mit dem Körpergewicht von Sil Maier hatte fünf Liter Blut in seinem Körper, ging es Wadim durch den Kopf, und obschon es vielleicht aussah, als hätte Maier schon die Hälfte davon verloren, war es in Wirklichkeit noch nicht einmal ein Zehntel. An Stellen, wo er ihn mit besonderer Wucht getroffen hatte, war die Haut aufgeplatzt. Maier blutete aus der Nase und aus zahllosen kleinen Wunden, aber das hatte nicht viel zu bedeuten. Wundes, geschwollenes Fleisch. Wadim wusste genau, was er tat. Zu viel Blutverlust, und Maier würde in einen komatösen Rausch wegdämmern, den er ihm nicht gönnte.
Noch mehr Anatomiekunde: Der menschliche Körper enthielt über zweihundert Knochen. Bei Maier waren erst vier davon gebrochen. Zwei Schienbeine und zwei Rippen.
Eigentlich hatte Wadim gerade erst angefangen.
Aber jetzt war Besuch gekommen, eine schwarze Frau. Etwa einen Meter fünfundsechzig groß und ziemlich schlank hockte sie auf der anderen Seite der Glasscheibe und lugte in den Raum.
Im nächsten Augenblick schlug Wadim ihr die Terrassentür ins Gesicht, zugleich griff er ihr ins Haar. Ein einziger, fast achtloser Stoß gegen die Schläfe, und sie sackte schlaff in sich zusammen.
Er schleifte ihren Körper über die Schwelle, schloss sorgfältig die Tür hinter sich und zog den Vorhang wieder zu. Fesselte die Frau, wie er es gelernt und jahrelang praktiziert hatte, und lief dann bestimmt eine halbe Stunde rastlos zwischen der Wohnungstür und den Terrassentüren hin und her, von einem Fenster zum anderen, in stetiger Erwartung weiterer Ankömmlinge, mit gespitzten Ohren, doch er fing keinen Laut mehr auf. Es kam niemand.
Keine Einsatzgruppe. Kein Rettungstrupp. Bloß eine Rettungsboje.
Das konnte interessant werden.
Als das schwarze Bündel Frau wieder zu Bewusstsein kam, fand sie sich an einen Küchenstuhl gefesselt, Maier gegenüber, in etwa einem halben Meter Abstand. Sie hatte anscheinend Schwierigkeiten, scharf zu sehen, fiel Wadim auf. Sie starrte vor sich hin, als ob sie extrem kurzsichtig wäre. Schien kaum zu begreifen, was ihr widerfahren war, womöglich war sie sich noch nicht sicher, ob sie träumte oder nicht.
Er würde sie schon noch aufwecken.
Wadim nahm einen dritten Stuhl und stellte ihn mit der Lehne nach vorn zu Maier und der Frau. Breitbeinig setzte er sich drauf, stützte die Ellbogen auf und faltete locker die Hände.
Er schaute vom einen zur anderen. Von Maiers Gesicht war im Lauf der letzten dreißig Minuten
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