Verschleppt
Scheuerleisten. Irgendwann werde ich genügend Geld zusammenhaben, und dann bleibe ich hier keine Minute länger. Dann flüchte ich zurück nach Russland und mache mein Studium zu Ende.«
»Und wie kommt ihr an das Geld?«
Olga lächelte verschwörerisch. »Wenn wir mit einem Kunden alleine sind, fragen wir, ob er noch irgendwelche Extrawünsche hat. Man muss genau wissen, worauf man sich da einlässt und bei wem. Manche sind nämlich mit Maxim befreundet, und der darf auf gar keinen Fall dahinterkommen. Aber oft klappt es. Und manchmal nehmen wir ein bisschen von Maxims Geld. Er hat oben in seinem großen Zimmer einen Tresor, den er fast nie abschließt. Immer nur ein paar Scheine, das merkt er nicht. So sparen wir mit der Zeit etwas zusammen. Alle machen das so.«
Geld.
Natürlich.
Warum hatte sie daran nicht früher gedacht?
»Ich kann an Geld kommen«, drängte Susan im Flüsterton. »Viel Geld. Wenn du mir hilfst …«
Vom Flur kam ein ungeduldiges Rufen, eine Männerstimme. Olga sah erschrocken auf, gab Antwort.
Schnell wandte sie sich wieder Susan zu. Streckte die Hände aus, wobei sie ihr die Handflächen zuwandte, als ob sie sie wegdrücken wollte. »Nein, stopp. Pozhalujsta , jetzt nicht mehr reden.« Sie sprang auf und fing hastig an, ihre Sachen zusammenzuraffen. »Ich kann dir nicht helfen. Verstehst du? Ich kann es nicht. Ich kann mir nicht einmal selbst helfen.«
48
Zwei Uhr nachts. Auf der A6 standen endlos viele Autos reihenweise so gut wie still. Die Rücklichter tauchten das Wageninnere des Porsches in eine rote Glut.
Maier starrte düster vor sich hin.
Sie hätten mittlerweile die halbe Strecke hinter sich haben und irgendwo in der Nähe von Dijon sein können, vielleicht sogar darüber hinaus, stattdessen steckten sie etwa hundert Kilometer südlich der Stadt fest.
Die Wischer arbeiteten auf höchster Stufe, um die Windschutzscheibe vom Regenwasser freizuhalten. Heftige Windstöße zerrten an dem Carrera und ließen Blätter und Zweige auf der Autoroute du Soleil und auf den Wagendächern landen.
Mit Fug und Recht konnte man dies ein Sauwetter nennen.
Joyce schlief, und zwar schon eine ganze Weile, oder sie wusste es hervorragend vorzutäuschen. Zusammengerollt wie eine Katze, den einen Arm schützend um ihre Sporttasche gelegt, das Gesicht abgewandt. Als sie losgefahren waren, hatte er sie gebeten, still zu sein, ihn bis auf Weiteres mit seinen Gedanken allein zu lassen. Er wollte den Kopf frei haben, um sich mit dem wirklich Wichtigen beschäftigen zu können, der Essenz von allem. Mit Susan.
Er hatte sich kaum je erlaubt, auch nur an sie zu denken, und doch war sie immer präsent gewesen. Susan steckte tief in ihm, und sie würde dort bleiben, bis sein Fleisch verfault, verrottet oder zu Asche verbrannt war.
Ihr durfte nichts zustoßen. Es ging hier nicht um Susan, es ging um ihn. Es war seine Schuld, dass diese Typen sie geschnappt hatten. Also musste er sie da rausholen.
Zusammen mit dieser komischen Polizistin oder ohne sie.
Sie schlief noch immer. Schön war sie durchaus, dachte er, mit ihrem dicken, leicht welligen Haar, ihrer hellbraunen Haut ohne jede Spur von Akne oder Narben, mit ihren vollen Lippen und diesen aparten Augen mit goldenen Einsprengseln. Schön, aber korrupt. Er musste damit rechnen, dass sie sich möglicherweise ein kleines Zubrot verdiente, indem sie für diese Russen arbeitete.
Das machte alles noch komplizierter.
So von seinen Gedanken in Beschlag genommen, fiel ihm gar nicht auf, dass er keine Musik angestellt hatte, dass seine Reise ausschließlich vom Geräusch des aufspritzenden Wassers an den Radkästen und vom unzufriedenen, tiefen Brummen des 3,8-Liter-Motors in seinem Rücken begleitet wurde.
Seit er in den Stau geraten war und es so aussah, als würde die Reise wohl länger dauern, waren ihm allerlei wilde Ideen in den Sinn gekommen. Lediglich eine davon war –unter Umständen – realisierbar. Wie in allen anderen großen französischen Städten musste es auch in Lyon und Dijon verschiedene Flughäfen geben. Allerdings hatte er keine Ahnung, wo sie genau lagen und welcher der richtige wäre, um einen sofortigen Privatflug nach Eindhoven zu organisieren. Dass es schon weit nach Mitternacht war, machte die Sache auch nicht gerade einfacher; vermutlich liefe da bloß noch Wachpersonal herum. Er konnte mit einem Geldbündel wedeln, aber selbst dann musste er damit rechnen, dass es Stunden dauerte, bis man ihn nach Eindhoven
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