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Verschleppt

Verschleppt

Titel: Verschleppt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verhoef & Escober
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brauchte, um Susan schnell und sicher da herauszuholen. Und nur aus diesem Grund war er bereit, mit Joyce zu kooperieren.
    Ansonsten wollte er nicht mehr darüber nachdenken. Vorläufig würde er ihre Geschichte hinnehmen, zumindest bis Viertel nach fünf am Nachmittag, und bis dahin noch so viele Infos und Materialien zusammensuchen wie möglich. Dann würde er weitersehen.
    Tatsächlich hatte er bei diesem ganzen Szenario nur eine einzige Sicherheit: Wenn Joyce für die Russen arbeitete, dann ging er seinem sicheren Tod entgegen.
     

51
     
    Olga strich Susan mit einer Bürste durchs Haar. Anfangs war es schmerzhaft gewesen, weil die Haare durch das viele Liegen auf der feuchten Matratze ganz zerzaust und verfilzt waren. Im Nacken und bei den Ohren, sagte Olga, hingen dicke, fast schon verfilzte Büschel. Jetzt aber glitt die Bürste mühelos hindurch, sodass die Behandlung einfach nur angenehm war.
    Susan hielt die Augen geschlossen. Sie hatte Olgas Gesellschaft zu schätzen begonnen. »Hast du Familie?«
    »Meine Eltern, einen kleineren Bruder und eine ältere Schwester. Und meine Babuschka wohnt auch bei uns.«
    »Wenn du genügend Geld gespart hast, hast du also einen Ort, wo du hinkannst? Du kannst nach Hause?«
    »Ja. Dafür bin ich auch dankbar, denn das ist nicht bei allen Mädchen so. Es gibt auch welche, die nicht mehr zurückkönnen. Oder die es nicht mehr wollen, weil sie schief angeguckt würden.«
    »Warum das?«
    »Weil sie doch Huren gewesen sind. In manchen Dörfern und Familien ist man da nicht sonderlich verständnisvoll … Und du, Susan, hast du ein Zuhause, wo du hinkannst?«
    Sie benutzte das Wort home , nicht place . »Ein Zuhause?« Susan dachte gründlich nach.
    Der Begriff Zuhause war jahrelang abstrakt geblieben. Das alte, freistehende herrschaftliche Haus, in dem sie geboren und aufgewachsen war, bei ihrem bildhauernden Vater, ihrer fünf Jahre älteren Schwester und einer meist abwesenden Mutter, war eher ein topographisches Faktum gewesen, als dass sie etwas dabei empfunden hätte. Es hatte dort keine Wärme gegeben, kein Gefühl von Nachhausekommen. Es war bloß ein Ort gewesen, wo man mit dem Fahrrad hinfuhr, wenn die Schule vorbei war, wo man sein Bett stehen hatte und wo man mit etwas Glück im Kühlschrank etwas zu essen fand. Ihre Eltern waren hauptsächlich mit ihren Freunden aus dem Ausland beschäftigt gewesen, besonders ihr Vater. Susan und Sabine waren sich in deren Gesellschaft immer etwas verloren vorgekommen.
    Ihre Mutter Jeanny, die vor Kurzem bei ihr eingezogen war, tat, was sie konnte, um die verlorenen Jahre wiedergutzumachen. Dass es ihr nicht sonderlich gut gelang, daran konnte sie wenig ändern. Die Familie Staal hatte beim Verteilen von Nestwärme nun mal nicht in der ersten Reihe gestanden.
    Zum ersten Mal hatte Susan ein Gefühl empfunden, das so ähnlich war wie ein Heimkommen, Jahre nachdem sie zu Hause ausgezogen war. Um genau zu sein, erst letztes Jahr. Ihre kleine Wohnung in der Innenstadt wurde zu einem Zuhause, als Sil bei ihr eingezogen war. Als in ihrem Wohnzimmer noch seine Asics auf dem Boden herumgelegen hatten, in ihrem Bad sein Rasierapparat, in ihrem Wäschekorb seine Klamotten zwischen ihren. Als ihre Stereoanlage die Wohnung mit seiner Musik beschallt und sie nachts seinen Körper neben ihrem gespürt hatte.
    Dann war er fortgegangen, und mit ihm, mit seiner Musik und seinen Sachen, war auch das Gefühl von Verbundenheit, von Liebe verschwunden, das Gefühl, ein Zuhause zu haben.
    Was sollte sie sagen? Würde Olga sie verstehen? Und wenn ja, was hatte es für einen Sinn, sie damit zu behelligen? Angesichts der Wirklichkeit kam ihre Klage ihr so banal, so entsetzlich verwöhnt und unwichtig vor.
    »Ich wohne alleine«, sagte sie schließlich. »Und meine Mutter ist zu mir gezogen.«
    »Das ist gut.« Olga nahm ein rosafarbenes Gummiband zur Hand und fing an, Susans Haare zusammenzuraffen. Sie sah plötzlich ganz ernst aus. »Du hast wirklich Angst, was? Du zitterst ja von Kopf bis Fuß.«
    »Ich will dich nicht in Schwierigkeiten bringen. Aber es geht hier nicht um mich, sondern um meinen Freund. Er muss irgendjemandem von diesen Leuten etwas angetan haben. Sie wollen über mich an ihn herankommen. Da bin ich ganz sicher.«
    »Aber dann hätten sie doch …«
    Unten klingelte es an der Tür. Ein elektronischer Summton, zweimal nacheinander, als ob es dringend wäre.
    Susan erstarrte. »Das wird er sein.«
    »Nein, das ist er nicht.« Olga

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