Verschleppt: Linda Roloffs sechster Fall (German Edition)
ein, aber angesichts der Situation
blieb ihr nichts anderes übrig. Also fügte sie hinzu: »Lassen Sie sich nicht jedes
Wort einzeln aus der Nase ziehen, sonst trinke ich den Wein selbst!«
Dies schien
zu wirken. Von kurzem Husten und einigen längeren Anfällen unterbrochen, erzählte
Pulle:
»Ich hab’
die Kohle für die Lene abgeholt. Auf der Bank. Jeden Monat. 50 Franken durfte ich
behalten.«
»Das war
allerdings ein guter Lohn.«
»Das war
kein Lohn. Es war mein Anteil. Schließlich war das meine Idee. Als Lene mir vor
’nem Jahr oder so erzählt hat, dass bei Reiter was illegal mit Elektroschrott läuft,
wollte sie ihn eigentlich anzeigen. Da hab ich sie gefragt, was das bringt. Wie
ich den kenn, lässt er die Beweise verschwinden oder nimmt sich ’nen teuren Anwalt
oder so. Leute wie Reiter kommen doch immer ungestraft davon. Nur wenn sie mich
mal erwischen, wenn ich ’ne Pulle im Laden mitgehen lass, land’ ich gleich im Knast.
Jedenfalls konnt’ ich’s der Lene ausreden, das mit der Anzeige. Vielleicht ist’s
dem Reiter ja was wert, wenn Sie ihn nicht anzeigen, hab’ ich noch gesagt. Da hat
die Lene gesagt, das sei ja Erpressung, und ich hab’ gesagt, sie soll die Kohle
einfach für’n wohltätigen Zweck verwenden. Hihi«, er kicherte, »und zehn Prozent
für mich. Krieg ich jetzt …?«
Linda schüttelte
den Kopf.
»Wie dick
steckt Reiter wirklich in diesen Schrottschiebereien drin?«
»Hm. Keine
Ahnung. Jedenfalls dick genug, dass ihm das jedem Monat ’n Fünfhunderter wert war.
Anfangs war es ja nur ein Container oder so. Jetzt könnte der ein Vielfaches verscherbeln.«
»Könnte
es da nicht sein«, fragte sie, »dass die Lene jetzt mehr Geld von ihm wollte, weil
er mit der Zeit immer mehr verschoben hat?«
»Weiß ich
nicht.«
»Okay. Was
anderes noch. Haben Sie – außer der Elektroschrottgeschichte – vielleicht auch noch
andere illegale Dinge mitbekommen?«
»Wie meinen
Sie’n das?«
»Na ja,
man kann auch noch andere Dinge schmuggeln.«
»Sie meinen
Waffen oder so’n Zeug? Ich weiß nicht. Da draußen liegen zig Planen, unter die kein
Mensch je geguckt hat. Weiß der Teufel, was er da drunter versteckt. Is´ mir auch
scheißegal.«
»Auch wenn
es … Menschen wären?«
Pulle riss
seine Augen weit auf. »Verdammt! Sie auch? Ich dachte, nur die Lene …!«
»Lene? Lene
Grandel wusste davon?«
Er druckste
herum, ohne wirklich ein Wort zu sagen.
»Herr Eberle,
Sie können offen zu mir sein. Ich weiß, dass Reiter auf seinem Gelände auch Menschen
versteckt. Und wenn Lene auch davon wusste, könnte das ein Grund für ihren Tod sein.«
»Sie hat
mir nur etwas von einem Container erzählt, der irgendwo im Wald steht.«
Linda holte
tief Luft. Pulle wusste mehr, als er ihr gegenüber zugeben wollte, dessen war sie
sich sicher.
»Und mehr
wissen Sie nicht darüber?«
Pulle schüttelte
den Kopf. Er hatte Angst, das war offensichtlich. So kam sie bei ihm nicht weiter.
»Könnten
Sie denn mal ein bisschen die Augen offen halten, solange Sie hier sind?«
»Kann ich
schon machen. Was wollen Sie denn wissen?«
»Ob hier
wirklich Menschen gegen ihren Willen festgehalten werden. Und wo!«
Plötzlich
schlugen die Hunde an. Linda sprang entsetzt auf. Im selben Moment hörte sie das
Motorengeräusch.
»Das ist
Zoto«, bemerkte Pulle, »seine Ducati. Die dröhnt wie’n Traktor. Ist grade vor’s
Tor gerollt. Keine Sorge, das dauert zwei Minuten bis es aufgefahren ist. Und dann
bringt er erst seine Maschine in die Garage. In der Zeit können Sie unbemerkt raus
hier. Krieg ich jetzt …?«
Linda nickte
und reichte ihm die Flasche.
»Ich habe
leider keinen Korkenzieher«, sagte sie.
»Macht nichts«,
meinte er, »den brauch ich nicht«, und schlug der Flasche mit einem gezielten Schlag
gegen die scharfe Oberkante des Metallfasses, auf dem er saß, den Hals unterhalb
des Korkens ab.
»Ich mach
das immer so«, kommentierte er.
Er setzte
an und trank in großen Zügen, ohne auf die scharfkantigen Glassplitter zu achten.
Der abgeschlagene Flaschenhals lag zu seinen Füßen.
Linda erschauderte.
Genau einen auf diese Weise abgebrochenen Flaschenhals hatten die Ermittler im Garten
der Toten gefunden, hatte ihr Jens Bosch erzählt. Vermutlich war es ein Teil der
Mordwaffe gewesen.
27
Was nun geschieht, sieht sie
wie in einem Traum.
Der Schmerz,
als er ihr unter dem rechten Auge die Wange ritzt. Ein rascher Schnitt in der Form
einer Sichel. Das Blut, das ihr warm vom Gesicht
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