Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verschlossen und verriegelt

Verschlossen und verriegelt

Titel: Verschlossen und verriegelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maj Sjöwall;Per Wahlöö
Vom Netzwerk:
Tisch am Fenster stand. Seine Mutter lag im Bett und starrte mit Augen an die Decke, die mit jedem Tag, an dem er sie sah, größer zu werden schienen. Ihre mageren Hände zupften an der Decke. Er stellte sich ans Bett und nahm ihre Hand, und ihr Blick richtete sich langsam auf sein Gesicht.
    »Bist du den ganzen langen Weg hergekommen«, flüsterte sie mit kaum hörbarer Stimme.
    »Sag nichts, Mama, das strengt dich zu sehr an«, erwiderte Martin Beck und setzte sich auf den Stuhl neben dem Bett. Er betrachtete ihre kleines, müdes Gesicht mit den großen, fiebrig glänzenden Augen. »Wie geht es dir, Mama?«, fragte er.
    Sie antwortete nicht sofort, sah ihn nur an und blinzelte zweimal, sachte und mühevoll, als wären ihre Lider sehr schwer und als müsste sie sich anstrengen, sie zu heben. »Ich friere«, sagte sie schließlich.
    Martin Beck sah sich im Zimmer um. Auf einem Hocker am Fußende des Betts lag eine Decke, und er nahm sie und deckte seine Mutter damit zu.
    »Danke, mein Lieber«, flüsterte sie.
    Er setzte sich wieder und sah sie an. Er wusste nicht, was er sagen sollte, hielt nur ihre schmale, kalte Hand in seiner. Wenn sie atmete, drang ein schwaches Röcheln aus ihrer Kehle. Mit der Zeit wurden ihre Atemzüge ruhiger, und sie schloss die Augen.
    Er blieb sitzen und hielt ihre Hand. Eine Amsel sang vor dem Fenster, ansonsten war es still.
    Als er so eine ganze Weile vollkommen regungslos gesessen hatte, ließ er behutsam ihre Hand los und stand auf. Er strich ihr über die Wange, die heiß und trocken war.
    Als er einen Schritt zur Tür machte, den Blick noch auf ihr Gesicht gerichtet, schlug sie die Augen auf und sah ihn an. »Setz die blaue Mütze auf, es ist kalt draußen«, flüsterte sie und schloss die Augen wieder.
    Kurz darauf beugte Martin Beck sich hinunter, küsste sie auf die Stirn und ging.

12
    Kenneth Kvastmo, einer der Streifenpolizisten, die in Svärds Wohnung gewesen waren, sollte auch an diesem Tag als Zeuge im Amtsgericht aussagen. Er saß wartend in einem Flur des Rathauses, als Martin Beck ihn aufsuchte und Antworten auf seine beiden wichtigsten Fragen erhielt, ehe Kvastmo in den Gerichtssaal gerufen wurde.
    Anschließend verließ Martin Beck das Rathaus und ging die beiden Häuserblocks zu dem Haus, in dem Svärd gewohnt hatte. Auf der kurzen Strecke kam er an den zwei großen Baustellen zu beiden Seiten des Polizeipräsidiums vorbei. Vor dem Südflügel schachtete man die neue U- Bahn-Linie zu den neu entstehenden Stadtteilen im Norden aus, weiter den Hang hinauf wurde für die unterirdischen Teile des neuen Präsidiums, in dem Martin Beck zu gegebener Zeit sein Arbeitszimmer bekommen würde, im Felsgrund gesprengt und gebohrt. Im Moment war er dankbar, dass sein Arbeitsplatz im Polizeipräsidium Süd war und nicht hier. Der Verkehrslärm von der Straße nach Södertälje vor seinem Fenster kam einem im Vergleich zu der Kakophonie, die hier von Baggern, Presslufthämmern und Lastwagenmotoren angestimmt wurde, wie ein leises Säuseln vor.
    Die Tür zur Wohnung im ersten Stock war wiederhergestellt und anschließend versiegelt worden. Martin Beck brach das Siegel und ging hinein.
    Das Fenster zur Straße war geschlossen, und er nahm den schwachen, aber penetranten Leichengeruch wahr, der sich in die Wände und das spärliche Inventar des Zimmers gefressen hatte. Er ging zum Fenster und musterte es. Es war von altmodischer Art, wurde nach außen geöffnet und war mit einer Schließvorrichtung versehen, bei welcher der ringförmige, bewegliche Haken, der in einer Ösenschraube im Fensterrahmen hing, über einen Zapfen im Blendrahmen gestreift wurde, wenn man das Fenster schloss. Es gab zwei Haken, aber der untere Zapfen fehlte. Die Farbe war abgeblättert und das Holz im unteren Teil des Rahmens und der Blende rissig. Vermutlich regnete und wehte es durch den Fensterspalt herein.
    Martin Beck zog das Rollo herunter. Es war dunkelblau, aber alt und ausgeblichen.
    Er ging zur Tür und schaute in den Raum hinein. So hatte es ausgesehen, als die beiden Streifenpolizisten hereingekommen waren, jedenfalls laut Kvastmo. Er kehrte zum Fenster zurück und ruckte leicht an der Schnur, worauf sich das Rollo träge und quietschend aufrollte. Dann öffnete er das Fenster und sah hinaus.
    Rechts lag die lärmende Baustelle, und dahinter konnte er unter anderem die Fenster der Kriminalpolizei in dem Gebäude an der Kungsholmsgatan erkennen. Links stieg die Bergsgatan nur noch ein kleines Stück

Weitere Kostenlose Bücher