Verschlossen und verriegelt
Zipfel des Küchenhandtuchs laufen. Anschließend rieb er mit dem Handtuch über den Fleck, der sich sofort ausbreitete und immer größer wurde. Er gab jedoch nicht auf, sondern fuhr verbissen fort, den Stoff zu bearbeiten, wobei er dachte, dass er Inga eigentlich nur in solchen Situationen, sonst aber äußerst selten vermisste, was einiges darüber aussagte, wie ihre Ehe verlaufen war. Schließlich war das halbe Hosenbein klatschnass und der Fleck zumindest teilweise verschwunden. Er zog mit Daumen und Zeigefinger die Bügelfalte nach und hängte die Hose über einen Stuhl in die Sonne, die zum offenen Fenster hereinschien. Es war erst acht, aber er war schon seit ein paar Stunden wach. Am Vorabend war er trotz allem früh eingeschlafen und hatte ungewöhnlich ruhig und traumlos geschlafen. Sein erster eigentlicher Arbeitstag nach langer Zeit war zwar nicht sonderlich ermüdend gewesen, schien ihn aber dennoch Kraft gekostet zu haben. Martin Beck öffnete den Kühlschrank, betrachtete die Milchpackung, das Butterpaket und die einsame Flasche Ramlösa-Mineralwasser und dachte, dass er am Abend auf dem Heimweg einkaufen musste. Bier und Joghurt. Oder vielleicht sollte er den Joghurt am Morgen aufgeben, er schmeckte wirklich nicht besonders gut. Dann musste er allerdings etwas anderes finden, das er zum Frühstück essen konnte, denn der Arzt hatte gesagt, er müsse wenigstens die Kilos zunehmen, die er verloren hatte, seit er aus dem Krankenhaus entlassen worden war, besser jedoch noch ein paar mehr. Im Schlafzimmer klingelte das Telefon.
Martin Beck schloss den Kühlschrank, ging hinein und hob den Hörer ab. Es war Schwester Birgit aus dem Altersheim.
»Frau Beck geht es schlechter«, sagte sie. »Sie hatte heute Morgen hohes Fieber, über neununddreißig Grad. Ich habe mir gedacht, Sie würden dies gern erfahren, Herr Kommissar.«
»Natürlich. Ist sie wach?«
»Vor fünf Minunten war sie es noch. Aber sie ist sehr müde.«
»Ich komme sofort«, sagte Martin Beck. »Wir haben sie in ein Zimmer verlegen müssen, in dem wir sie besser unter Beobachtung halten können«, sagte Schwester Birgit. »Aber kommen Sie doch bitte zuerst ins Schwesternzimmer.«
Martin Becks Mutter war zweiundachtzig Jahre alt und hatte die letzten beiden Jahre auf der Krankenstation des Altersheims verbracht. Die Krankheit war schleichend verlaufen und hatte sich anfangs in leichten Schwindelanfällen geäußert, die immer schwerer wurden und immer häufiger auftraten. Inzwischen war sie teilweise gelähmt. Im letzten Jahr hatte sie nur im Rollstuhl sitzen können, und seit Ende April war sie gar nicht mehr aus dem Bett gekommen.
Während seiner Rekonvaleszenz hatte Martin Beck sie ziemlich häufig besucht, aber es quälte ihn, sie langsam dahinsiechen zu sehen, durch Alter und Krankheit immer tiefer umnachtet. Bei seinen letzten Besuchen hatte sie geglaubt, er wäre ihr Mann, sein Vater, der seit zweiundzwanzig Jahren tot war. Es war ihm zudem schwergefallen, mit anzusehen, wie allein und völlig abgeschnitten von der Außenwelt sie in ihrem Krankenzimmer war. Bis ihre Schwindelanfälle anfingen, hatte sie das Heim oft verlassen und war in die Stadt gefahren, um in Geschäfte zu gehen und Menschen um sich zu sehen oder einen der wenigen Freunde zu besuchen, die noch lebten. Sie war oft zu Inga und Rolf nach Bagarmossen gefahren oder zu Martin Becks Tochter Ingrid, die allein in Stocksund lebte. Natürlich hatte sie sich im Heim auch schon vor dem Einsetzen der Krankheit oft allein gefühlt und sich gelangweilt, aber solange sie gesund war und sich bewegen konnte, hatte es doch immer die Möglichkeit gegeben, von Zeit zu Zeit etwas anderes um sich zu sehen als Alte und Kranke. Sie hatte Zeitungen gelesen, ferngesehen und Radio gehört und war gelegentlich in ein Konzert oder ins Kino gegangen. Sie hatte sich auf dem Laufenden gehalten und sich dafür interessiert, was in der Welt geschah. Die psychische Veränderung hatte sich rasch eingestellt, als sie in ihre Isolation gezwungen wurde.
Martin Beck hatte gesehen, wie sie abstumpfte und kein Interesse mehr am Leben außerhalb ihres Krankenzimmers zeigte, bis sie schließlich jeden Kontakt mit der Wirklichkeit und der Gegenwart verlor.
Er nahm an, ein geistiger Abwehrmechanismus sorgte dafür, dass sich ihr Bewusstsein mittlerweile ausnahmslos in der Vergangenheit bewegte; in ihrer Wirklichkeit und Gegenwart gab es nichts Versöhnliches.
Es war für ihn ein Schock gewesen, als er
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