Verschlossen und verriegelt
größeren Zusammenhang betrachtet, war es eine Bagatelle, aber eben eine, die ihn nervte. Er wollte sie aus der Welt schaffen und sich außerdem beweisen, dass er zu einer richtigen Schlussfolgerung gekommen war. Sten Sjögren war nicht bei Sonnenaufgang aufgestanden. Es dauerte, bis er, gähnend und am Bademantelgürtel herumfummelnd, öffnete.
Gunvald Larsson war nicht unfreundlich, kam aber sehr direkt zur Sache.
»Sie haben die Polizei belogen«, sagte er. »Habe ich?«
»Vor einer Woche haben Sie zweimal einen Bankräuber beschrieben, der auf den ersten Blick eine Frau zu sein schien. Außerdem haben Sie sich ausführlich über ein Auto ausgelassen, das besagte Person auf ihrer Flucht benutzt haben soll, und von zwei Männern, die ebenfalls in dem Wagen saßen, einem Renault 16.«
»Das stimmt.«
»Und letzten Montag haben Sie die gleiche Geschichte Wort für Wort wiederholt. In Anwesenheit eines Ersten Kriminalassistenten, der hier war und sich mit Ihnen unterhalten hat.«
»Das stimmt auch.«
»Des Weiteren stimmt, dass fast alles gelogen war.«
»Ich habe diese blonde Person wirklich beschrieben, so gut ich konnte.«
»Ja, weil Sie wussten, dass andere den Bankräuber auch gesehen hatten. Sie waren zudem clever genug, sich auszurechnen, dass die Überwachungskamera in der Bankfiliale wahrscheinlich alles auf Film aufgenommen hatte.«
»Aber ich glaube wirklich, dass es eine Frau war.«
»Und warum?«
»Ich weiß es nicht. Man hat doch einen gewissen Instinkt, wenn es um Frauen geht.«
»Nun hat sich dieser Instinkt aber möglicherweise geirrt. Aber deshalb bin ich nicht hier. Ich will, dass Sie zugeben, die Geschichte von dem Auto und den beiden Männern frei erfunden zu haben.«
»Warum wollen Sie das?«
»Meine Gründe tun hier nichts zur Sache. Sie sind übrigens rein privater Natur.«
Sjögren war nun nicht mehr so verschlafen. Er sah Gunvald Larsson fragend an und sagte langsam:
»Soweit ich weiß, ist es kein Verbrechen, unvollständige oder falsche Aussagen zu machen, solange man nicht unter Eid steht.«
»Völlig richtig.«
»Aber wenn das stimmt, dann ist dieses Gespräch sinnlos.«
»Nicht für mich. Ich möchte die Sache gern überprüfen. Wir können ja sagen, dass ich zu einer gewissen Schlussfolgerung gekommen bin und wissen will, ob ich richtig liege.«
»Und wie lautet diese Schlussfolgerung?«
»Dass Sie der Polizei den Bären nicht zu Ihrem eigenen Vorteil aufgebunden haben.«
»Es gibt schon genug, die in dieser Gesellschaft nur an ihren eigenen Vorteil denken.«
»Sie nicht?«
»Ich versuche es jedenfalls zu vermeiden. Viele verstehen das nicht. Zum Beispiel meine Frau. Deshalb habe ich jetzt keine Frau mehr.«
»Sie finden es also richtig, Banken auszurauben, und halten die Polizei für den natürlichen Feind des Volkes?«
»Etwas in der Art könnte man denken. Obwohl es nicht ganz so einfach ist.«
»Eine Bank auszurauben und einen Sportlehrer zu erschießen ist keine politische Tat.«
»Nein, nicht hier und jetzt. Aber man kann es ideologisch sehen.
Außerdem gibt es auch noch die historische Perspektive. Manchmal haben Banküberfälle klare politische Motive gehabt. Während der Revolution in Irland zum Beispiel. Aber der Protest kann auch unbewusst sein.«
»Wollen Sie damit sagen, dass man gewöhnliche Kriminelle als eine Art Revolutionäre betrachten kann?«
»Das ist ein interessanter Gedanke«, erwiderte Sjögren. »Aber auch prominente sogenannte Sozialisten lehnen ihn ab. Lesen Sie Artur Lundkvist?«
»Nein.«
Gunvald Larsson las meistens Jules Regis und ähnliche Autoren. Derzeit pflügte er sich durch die Werke S.A. Duses. Das hatte allerdings nichts mit der Sache zu tun. Seine literarischen Gewohnheiten wurden von einem Unterhaltungsbedürfnis diktiert, er hatte kein Verlangen nach Bücherwissen. »Lundkvist hat doch den Leninpreis bekommen«, sagte Sten Sjögren. »In einer Anthologie mit dem Titel ›Ein sozialistischer Mensch) schreibt er ungefähr, ich zitiere frei: Manchmal geht es so weit, dass Verbrecher dargestellt werden, als verkörperten sie einen bewussten Protest gegen die Missstände, fast wie eine Art Revolutionäre… etwas, das gerade in einem sozialistischen Land nicht toleriert würde.«
»Weiter«, sagte Gunvald Larsson.
»Ende des freien Zitats«, erklärte Sjögren. »In meinen Augen ist der ganze Gedankengang idiotisch. Erstens können Menschen dazu getrieben werden, gegen Missstände zu protestieren, ohne ein
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