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Verschlüsselte Wahrheit - Inspektor Rebus 05

Verschlüsselte Wahrheit - Inspektor Rebus 05

Titel: Verschlüsselte Wahrheit - Inspektor Rebus 05 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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Bericht über das Fußballspiel zu hören, doch die Batterien waren noch schwächer als sein Tee. Also ging er leise zurück ins Wohnzimmer, wo Tante Ena immer noch schlief, und setzte sich ihr gegenüber in den Sessel. Er hatte zwar nicht gerade eine Erbschaft erwartet, aber etwas mehr hatte er sich von dem Besuch schon versprochen. Ein besonders lauter Schnarcher ließ Tante Ena aufschrecken und wach werden.
    »Hä? Bist du das, Jimmy?«
    »Ich bin John, dein Neffe.«
    »Du meine Güte, John, bin ich etwa eingenickt?«
    »Nur ein paar Minütchen.«
    »Das ist ja schrecklich, wo ich doch Besuch habe.«
    »Ich bin kein Besuch, Tante Ena. Ich gehör zur Familie.«
    »Aye, mein Junge, das tust du. Nun hör mir mal zu. Da ist noch etwas Rindfleisch im Kühlschrank. Soll ich uns ein paar …?«
    »Sind schon fertig.«
    »Hä?«
    »Die Sandwiches. Ich hab sie schon hergerichtet.«
    »Tatsächlich? Du warst immer ein kluges Kerlchen. Und wie wär’s mit einem Tee?«
    »Bleib sitzen, ich mach uns frischen.«
    Er brühte eine Kanne Tee auf, brachte die Sandwiches auf einem Teller ins Wohnzimmer und stellte sie vor seine Tante auf einen Schemel. »Bitte sehr.« Er wollte ihr gerade ein Sandwich reichen, als sie ihn fest am Handgelenk packte. Sie hatte die Augen geschlossen, und obwohl sie ziemlich gebrechlich wirkte, war ihr Griff fest. Erst als sie zu sprechen begann, begriff Rebus, dass sie ein Tischgebet murmelte.
    »Manche haben Fleisch und können es nicht essen, und manche haben keins und hätten gern welches. Doch wir haben Fleisch, und wir können es auch essen, dafür danken wir dem Herrn.«
    Rebus musste sich ein Lächeln verkneifen. Doch in seinem tiefsten Innern war er auch gerührt.
    Der Imbiss belebte die alte Frau, und plötzlich schien sie sich auch daran zu erinnern, weshalb sie ihn hatte sehen wollen.
    »Dein Vater und mein Mann haben sich vor vielen, vielen Jahren zerstritten. Das ist jetzt vielleicht vierzig Jahre her oder noch länger. Seitdem haben sie sich keinen Brief mehr geschrieben, keine Weihnachtskarte. Ja, sie haben nicht mal mehr ein höfliches Wort gewechselt. Findest du das nicht töricht? Und weißt du, worum es sich bei dem Streit handelte? Es ging darum, dass wir deinen Vater und deine Mutter zur Hochzeit von unserer Ishbel eingeladen hatten, dich aber nicht. Wir hatten nämlich beschlossen, dass keine Kinder dabei sein sollten. Doch eine Freundin von mir, Peggy Callaghan, hat ihren Sohn trotzdem mitgebracht, und wir konnten ihn ja schlecht wegschicken. Als dein Vater das sah, hat er angefangen, sich mit Jimmy zu streiten. Die haben sich fürchterlich angebrüllt. Irgendwann ist dein Vater hinausgestürmt, und deiner Mutter blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Sie war eine liebe Frau. Und das war alles.«
    Sie lehnte sich im Sessel zurück. An ihrer Unterlippe klebten Brotkrümel.
    »Das war alles?«
    Sie nickte. »Das Ganze war kaum der Rede wert, was? Aus heutiger Sicht. Aber es reichte. Und die beiden waren viel zu stur, um sich wieder zu versöhnen.«
    »Und du wolltest mich sehen, um mir das zu erzählen?«
    »Ja. Aber ich wollte dir auch was geben.« Mit Hilfe des Laufgestells zog sie sich langsam aus ihrem Sessel hoch und beugte sich zum Kaminsims hinunter. Sie fand, was sie suchte, und reichte ihm ein Foto. Er schaute es an. In verblassten Schwarzweißtönen waren zwei grinsende Schuljungen zu sehen, nicht gerade nach der neuesten Mode gekleidet. Sie hatten sich lässig die Arme um die Schultern gelegt, und ihre Gesichter waren nah beieinander. Beste Freunde, aber noch mehr als das: Brüder.
    »Das hat er behalten, wie du siehst. Er hat mir mal erzählt, er hätte alle Fotos von deinem Vater weggeworfen. Doch als wir seine Sachen durchgegangen sind, haben wir das ganz unten in einem Schuhkarton gefunden. Ich wollte, dass du das bekommst, Jock.«
    »Nicht Jock, John«, sagte Rebus, dessen Augen ein wenig feucht waren.
    »Ach ja, natürlich«, erwiderte Tante Ena. »Natürlich.«
    Einige Stunden früher an diesem Nachmittag hatte Michael Rebus auf der Couch gelegen und geschlafen, nicht ahnend, dass er gerade Double Indemnity, einen seiner Lieblingsfilme, auf BBC 2, verpasste. Er war mittags auf einen Drink ins Pub gegangen, allein, wie sich herausstellte. Die Studenten waren wohl einkaufen gegangen oder in den Waschsalon oder übers Wochenende nach Hause gefahren, um Eltern und Freunde zu besuchen. Also hatte Michael nur zwei Bier mit Limonade getrunken und war in die

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