Verschlüsselte Wahrheit - Inspektor Rebus 05
gab es reichlich, und einige von ihnen wären auch in dem New Yorker Pennerviertel Bowery nicht fehl am Platz gewesen. Zu den Gästen zählten außerdem ein paar Studenten und Dauersäufer, teilweise aufgrund der Lage des Pubs, aber hauptsächlich wegen der Nachtlizenz. Es hatte dort noch nie Ärger gegeben, jedenfalls keinen nennenswerten. Die eine Hälfte der Gäste in der Bowery fürchtete sich vor der anderen. Außerdem munkelte man, dass Big Ger rund um die Uhr für Schutz sorgte.
Chick Muir ging oft zum Trinken dorthin, schaffte es jedoch, nicht beim angeblich unmusikalischsten Karaoke von Edinburgh mitzumachen. Eddie Ringan beispielsweise wäre auf der Stelle tot umgefallen, wenn er gehört hätte, auf welch schaurige Weise »Hound Dog« und »Wooden Heart« immer wieder verschandelt wurden. Huh-kuh-rye-a-yeng war in etwa der Laut, der Rebus entgegenschallte, als er die Tür des Pubs aufstieß und die Augen vor dem dicken Zigarettenqualm zusammenkniff.
Als »Crying in the Chapel« zu einem tränenreichen Ende kam, spürte Rebus, wie eine Hand seinen Arm drückte.
»Sie haben’s also geschafft.«
»Hallo, Chick. Was trinkst du?«
»Ein doppelter Famous Grouse war jetzt genau das Richtige, obwohl ich nicht glaube, dass die echten Grouse in ihren Grouse-Flaschen haben.« Chick Muir grinste und zeigte zwei Reihen glanzloser Goldzähne. Er war fast einen halben Meter kleiner als Rebus und sah in diesem Gedränge aus wie ein Kind, das sich im Wald verirrt hat. »Aber auch wenn’s kein Grouse ist«, fuhr er fort, »sind’s immerhin vier Zentiliter.«
Darin steckte eine gewisse Logik. Also kämpfte sich Rebus zur Bar durch und brüllte seine Bestellung. Es wurde allseits applaudiert, als ein Jünger des Gesangs auf die Bühne trat. Rebus ließ seinen Blick die Theke entlangwandern und bemerkte Deek Torrance, der weder betrunkener noch nüchterner aussah als bei ihrer letzten Begegnung. Als Rebus seine Getränke bezahlte (er musste nie warten, man kannte ihn hier), sah Torrance ihn, nickte und winkte ihm zu. Rebus deutete an, dass er erst die Drinks abliefern musste, dann aber zurückkäme. Torrance nickte wieder.
Die Musik begann erneut zu spielen. O nein, bitte nicht, dachte Rebus. Nicht »Little Red Rooster«. Auf der Videoleinwand war ein junger Hahn zu sehen, der sich offenbar für das blonde Bauernmädchen interessierte, das herausgekommen war, um die Eier einzusammeln.
»Bitte sehr, Chick. Cheers.«
»Slainte.« Chick nahm einen Schluck, ließ ihn im Mund kreisen und schüttelte den Kopf. »Das ist bestimmt kein Grouse. Haben Sie ihn gesehen?«
»Ja, hab ich.«
»Und, ist es der Richtige?«
Rebus reichte ihm einen gefalteten Zehner, der sofort in Chicks Tasche verschwand. »Er ist es hundertprozentig.«
Deek Torrance quetschte sich bereits durch das Gedränge zu ihnen durch, blieb jedoch kurz vorher stehen und langte über einen anderen Gast, um Rebus auf die Schulter zu klopfen.
»John, ich geh nur mal gerade …« Er machte eine ruckartige Bewegung mit dem Kopf in Richtung Toiletten, die sich seitlich von der Bühne befanden. »Bin in einer Minute zurück.« Rebus nickte, und Torrance bewegte sich durch die wogende Masse wieder zurück. Chick Muir stürzte seinen Whisky hinunter. »Ich hau jetzt ab«, sagte er.
»Aye, bis demnächst, Chick.« Chick nickte, stellte sein Glas auf die Theke und steuerte auf den Ausgang zu. Rebus versuchte, die schaurige Darbietung von »Little Red Rooster« zu ignorieren, und als ihm das nicht gelang, folgte er Torrance auf die Toilette. Er sah, dass Deek noch kurz mit dem DJ auf der Bühne sprach, bevor er die Tür zur Herrentoilette aufstieß. Rebus warf dem Sänger im Vorbeigehen einen finsteren Blick zu, doch die Menge feuerte ihn zu immer weiteren Scheußlichkeiten an.
Deek stand am Gemeinschaftsurinal und lachte über einen Cartoon an der Wand. Er zeigte zwei Fußballspieler mit den Streifen der Hearts beim Analverkehr, darüber stand: »Zwei Herzen im Dreivierteltakt!« Das war typisch für die Easter Road. In einem Pub in der Gorgie Road würde man sicher einen ähnlichen Cartoon mit zwei Spielern der Hibs finden. Rebus vergewisserte sich, dass sich außer ihnen niemand auf der Toilette befand. In dem Moment wendete Deek den Kopf und entdeckte ihn.
»John! Ich hab schon gedacht, du wärst ein Spanner.«
Doch Rebus war nicht zu Spaßen aufgelegt. »Du musst mir was besorgen, Deek.«
Torrance grunzte.
»Du hast mir doch erzählt, du kämst an alles
Weitere Kostenlose Bücher