Verschlüsselte Wahrheit - Inspektor Rebus 05
Trunkenheit in der Öffentlichkeit, gewöhnlich verbunden mit irgendwelchem Unfug. Polizisten den Helm vom Kopf zu schlagen schien eines der Lieblingsspielchen des jungen Gibson und seiner Kumpane gewesen zu sein. Andere Missetaten beinhalteten langsames Entlangfahren am Bürgersteig in einer Gegend, die nicht wegen ihrer Prostituierten berüchtigt war, sowie der Versuch, durch ein Fenster in die Wohnung eines Freundes einzusteigen (den Schlüssel hatte er verloren), wobei er in der falschen Wohnung landete.
Doch das alles endete vor fünf Jahren. Seitdem hatte Gibson nicht mal mehr einen Strafzettel wegen falschem Parken oder zu schnellem Fahren erhalten. So viel zu seinen Polizeiakten. Rebus tippte ebenfalls Broderick Gibsons Namen ein, wie zu erwarten, gab es keinen Eintrag. Die »jugendlichen Fehltritte« des älteren Gibson würden in irgendeinem Nebengebäude in modrigen Akten lagern — falls es solche Fehltritte überhaupt gab. Rebus vermutete, dass jemand, der Scottish Sword and Shield angehört hatte, irgendwann mal wegen ungebührlichem Benehmen oder öffentlicher Ruhestörung verhaftet worden sein müsste. Mit einer möglichen Ausnahme: Matthew Vanderhyde.
Er machte einen Anruf, um sich zu vergewissern, dass die Verabredung, die er am Tag zuvor getroffen hatte, noch galt. Dann schaltete er den Computer aus und verließ das Gebäude genau in dem Moment, als ein verschlafener Chief Superintendent Watson hereinkam.
Er wartete im Servicebereich des Zeitungsgebäudes und blätterte die Ausgaben der letzten Woche durch. Einige frühe Zeitungskunden kamen mit ausgefüllten Bilderrätseln und Texten für Kleinanzeigen herein.
»Inspector Rebus.« Sie war hinter dem Hauptschalter hervorgetreten, von wo ein streng aussehender Sicherheitsmann sein wachsames Auge auf Rebus gerichtet hielt. Sie trug bereits ihren Regenmantel, also würde auch heute die Besichtigung des Gebäudes nicht stattfinden, die sie ihm schon seit Wochen versprach.
Sie war Anfang zwanzig und hieß Mairie Henderson. Rebus hatte sie kennen gelernt, als sie an einem Feature über den Fall Gregor Jack arbeitete. Rebus wollte die ganze hässliche Geschichte einfach vergessen, doch Mairie war sehr beharrlich gewesen … und sehr überzeugend. Damals hatte sie gerade das College abgeschlossen, wo sie mehrmals für Artikel in der Studentenzeitung und Berichte in diversen Tages- und Wochenzeitungen ausgezeichnet wurde. Sie war immer noch scharf auf Storys, und das gefiel Rebus.
»Kommen Sie«, sagte sie. »Ich bin am Verhungern und lad Sie zum Frühstück ein.«
Also gingen sie in ein kleines Café mit Bäckerei auf der South Bridge, wo schwierige Entscheidungen zu treffen waren. Konnte man so früh schon gefüllte Pasteten essen? Oder Fruchttörtchen? Doch dann entschieden sie sich wie alle anderen für etwas Deftigeres.
»Keine Haggis oder Klöße?« Mairie machte ein so bittendes Gesicht, dass die Frau an der Theke den Koch fragen ging. Dabei fiel Rebus ein, dass er irgendwann im Lauf des Tages Pat Calder anrufen sollte. Doch es gab keinen Schafsmagen und auch keine Klöße, nicht für Geld und gute Worte. Also gingen sie mit ihren Tabletts zur Kasse, wo Mairie darauf bestand zu zahlen.
»Schließlich bekomme ich von Ihnen die Geschichte des Jahrzehnts.«
»Das ist mir neu.«
»Eines Tages werden Sie sie mir liefern, glauben Sie mir.«
Sie quetschten sich in eine Nische und Mairie griff erst nach der braunen Soße, dann nach dem Ketchup. »Ich kann mich nie zwischen den beiden entscheiden. Schade, das mit den gebratenen Klößen, die mag ich am liebsten.«
Sie war etwa einsfünfundsechzig groß und hatte ungefähr so viel Fett am Körper wie ein Kaninchen, das beim Metzger im Schaufenster hing. Rebus sah sich das Gebrutzelte auf seinem Teller an und hatte plötzlich keinen Hunger mehr. Er nippte an dem dünnen Kaffee.
»Also, was steckt denn dahinter?«, wollte sie wissen, nachdem sie kräftig zugelangt hatte.
»Das sollen Sie mir erzählen.«
Sie bewegte ihr Messer verneinend hin und her. »Erst wenn Sie mir gesagt haben, warum Sie das wissen wollen.«
»So läuft das Spiel aber nicht.«
»Dann ändern wir eben die Regeln.« Sie schaufelte etwas Eiweiß auf ihre Gabel. Ihren Mantel hatte sie fest um sich geschlungen, obwohl es in dem Café fast schwül war. Außerdem besaß sie schöne Beine; Rebus bedauerte, dass er davon nichts sehen konnte. Er blies in den Kaffee, dann nippte er wieder daran. Notfalls musste sie den ganzen Tag
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