Verschlungene Wege: Roman (German Edition)
als ob ich Schnecken und Kalbsbries gekocht hätte – was ich übrigens auch kann, und zwar sehr gut.«
»Da nehm ich doch lieber die Panini.« Er führte sie am Ellbogen nach draußen und anschließend über die Straße, während sie nach seinem Wagen Ausschau hielt.
»Wo fahren wir hin?«
»An den See.«
»Oh, wie schön. Es ist ein schöner Tag, um am See Mittag zu essen.«
»Wir werden nicht am See zu Mittag essen. Wir werden auf dem See zu Mittag essen.« Er wies mit dem Kinn auf ein Kanu. »Und zwar in dem da.«
Sie blieb, wo sie war und beäugte misstrauisch das Boot. »Wir setzen uns in ein Kanu und essen Panini?«
»Ich habe mir die Location ausgedacht und du das Essen. Das ist Docs Kanu. Er hat gesagt, dass wir es uns heute für ein paar Stunden ausleihen dürfen. Wir werden eine kleine Paddeltour machen.«
»Hmm.«
Sie mochte Boote. Besser gesagt, sie mochte Boote, die mit einem Motor oder Segel ausgestattet waren. Aber ob sie Boote mit Paddeln mochte, wusste Reece noch nicht so genau. »Ich nehme an, dass Wasser ist noch ziemlich kalt.«
»Könnte sein. Wir sollten also lieber auf dem Wasser bleiben. Steig ein, Reece.«
»Einsteigen.« Sie setzte erst den einen und dann den anderen Fuß hinein, fand ihr Gleichgewicht und tastete sich zum Heck vor.
»Dreh dich um«, wies Brody sie an.
»Oh.«
Er stieg ein, reichte ihr ein Paddel und nahm dann auf der vorderen Bank Platz. Mit seinem Paddel stieß er das Kanu vom Ufer ab. »Mach einfach, was ich mache, bloß auf der anderen Seite des Kanus.«
»Du hast das schon mal gemacht, stimmt’s? Es ist also nicht gerade eine Jungfernfahrt für uns beide, oder?«
»Ich hab das in der Tat schon mal gemacht. Ich hab mir bloß noch kein Boot gekauft, weil ich noch zwischen einem Kanu und einem Kajak schwanke – und beides zu kaufen, ist einfach blöd. Außerdem kann man sich hier immer ein Boot ausleihen – ohne sich mit einem Liegeplatz oder Wartungsarbeiten herumärgern zu müssen. Man spendiert dem Eigentümer einfach ein Sixpack oder eine Flasche Wein und damit basta.«
»So kann man’s auch sehen.« Sie musste ihre Schultermuskeln anspannen, um das Paddel durchs Wasser zu ziehen. »Das Wasser bietet mehr Widerstand, als man denkt.«
Doch ihre Muskeln begannen sich bereits aufzuwärmen, und als sie Brody eine Weile mit Argusaugen beim Paddeln zugesehen hatte, begriff sie den Rhythmus einigermaßen. Sie musste zugeben, dass es ihr gefiel, so durchs Wasser zu gleiten – das Boot schien den See kaum zu berühren. Trotzdem war es harte Arbeit, und sie spürte die Anstrengung in Schultern und Bizeps.
Höchste Zeit, wieder mit dem Gewichttraining anzufangen, beschloss sie.
»Wo fahren wir hin?«, rief sie ihm zu.
»Nirgendwohin.«
»Ach, dahin, schon wieder?« Sie lachte und strich ihre Haare nach hinten, die der Wind zerzaust hatte.
Der Anblick der Berge überwältigte sie.
»Oh mein Gott, ist das schön!«
Vorne im Bug lächelte Brody. Er hörte die Ehrfurcht und den Respekt in ihrer Stimme. »Die sind echt der Hammer, was?« Er sicherte sein Paddel, drehte sich zu ihr um und nahm ihr das Paddel aus den untätigen Händen, um es ebenfalls zu sichern.
»Sie sehen so anders aus von hier. Alles ist irgendwie anders. Sie sehen aus wie …«
»Wie?«
»Wie Gottheiten. Silbrig-glänzend, mit feinen weißen Kronen und dunkelgrünen Bändern. Irgendwie größer, mächtiger.«
Die Berge erhoben und verbreiterten sich, ein silbriges Blau vor dem noch reineren Blau des Himmels. Der Schnee, der sich noch an die höheren Gipfel klammerte, war so weiß wie die Wolken, die über sie hinwegzogen. Sie spiegelten sich im Wasser, und es kam ihr fast so vor, als könne sie darin eintauchen.
Ein Reiher flog auf, berührte die Seeoberfläche und schwebte wie ein Gespenst zu den Sümpfen am nördlichen Zipfel des Sees.
Es gab noch andere Boote. Eine kleine Jolle mit einem gelben Segel wiegte sich in der Mitte des Sees, ein Kajaker trainierte seine Fähigkeiten. Sie erkannte Carl, der in einem Kanu saß und angelte, sowie ein Paar, wahrscheinlich Touristen, das aus einem der gewundenen Zuflüsse auf den See geglitten sein musste.
Sie fühlte sich schwerelos und winzig und überglücklich.
»Warum machen wir das eigentlich nicht jeden Tag?«, überlegte sie laut.
»Ich mache das normalerweise öfter, sobald es Juni wird – aber ich hatte viel zu tun. Letzten Sommer hat mich Mac zu einer dreitägigen Bootstour auf dem Fluss überredet. Er, ich, Carl und
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