Verschlungene Wege: Roman (German Edition)
Städter machst du dich ziemlich gut in unserer abgelegenen Gegend.«
»Wie lange muss ich denn noch hier leben, um das Städter-Image loszuwerden?«
»Vielleicht verblasst es ein wenig, wenn du schon zehn, fünfzehn Jahre unter der Erde liegst.«
»Das hätte ich mir denken können«, sagte Brody, als sie sich wieder in Bewegung setzten. »Allerdings bist du auch nicht hier geboren«, sagte er dann, »sondern ein Soldatenbalg.«
»Da sich meine Mutter noch vor meinem zwölften Geburtstag in Cheyenne niedergelassen hat, habe ich dir gegenüber einen entscheidenden Vorsprung. Ich kenn mich hier aus. Hör mal, die Wasserfälle.«
Ein tiefes Rauschen drang durch das Espenlaub, die Zitterpappeln und Purpurweiden. Die Sonne wurde stärker, bis Brody ihre Reflexe auf dem Wasser sah. Dahinter lag der Canyon und die Stelle hoch oben auf der anderen Seite, wo er mit Reece gewesen war.
»Dort hat sie gesessen, als sie den Mord beobachtet hat.«
Brody schirmte die Augen ab und zeigte über die Felsen.
Es war kühler hier, dachte Brody, kühler, so nah neben dem Wasser, während der Wind in den Bäumen seufzte. Aber doch sonnig genug, dass er seine Sonnenbrille aus dem Rucksack holte.
»Das ist aber gehörig weit weg, Brody.« Rick holte seinen Feldstecher hervor und richtete ihn auf den Punkt, den Brody ihm gewiesen hatte. »Das ist verdammt weit weg«, wiederholte er. »Außerdem blendet es ganz schön um diese Tageszeit. Die Sonne wird vom Wasser reflektiert.«
»Rick, wir haben uns doch immer ganz gut verstanden, während der letzten Jahre.«
»Ja, das stimmt.«
»Deshalb frage ich dich jetzt mal ganz direkt: Warum glaubst du ihr nicht?«
»Eins nach dem anderen: Sie ist da oben, sieht hier unten einen Mord, rennt den Weg zurück und begegnet dir. Und was macht der Kerl in der Zwischenzeit mit der Leiche? Wenn er sie in den Fluss geworfen hat, muss sie irgendwann wieder hochkommen. Und dürfte mittlerweile längst entdeckt worden sein. Viel Zeit blieb ihm nicht, die Leiche mit Steinen zu beschweren, dir zufolge vielleicht gerade mal eine halbe Stunde. Für so etwas braucht man Zeit – mehr, als ihr meiner Meinung nach benötigt habt, um wieder bis zu jener Stelle zurückzugehen.«
»Er kann sie hinter die Felsen da geschleift haben oder zwischen die Bäume. Das hätten wir von der anderen Flussseite aus unmöglich sehen können. Vielleicht ist er anschließend los und hat eine Schaufel geholt oder ein Seil. Keine Ahnung.«
Rick seufzte kurz auf. »Siehst du irgendeinen Hinweis, dass jemand hier rumgetrampelt ist, eine Leiche hinter sich hergeschleift und sie vergraben hat?«
»Nein, bisher nicht. Noch nicht.«
»Wir beide werden uns hier gründlich umsehen, genau wie ich gestern. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass hier jemand verscharrt worden ist. Er kann sie also nur weggeschleift oder fortgetragen haben, zu einem Auto oder einer Blockhütte. Das ist aber ganz schön weit, wenn man eine schwere Leiche mitschleppen muss und dabei keine einzige Spur hinterlässt.«
Er wandte sich wieder an Brody. »Du sagst, du bist dir ganz sicher, dass es hier gewesen sein muss. Und ich sage dir, dass ich hier nichts entdecken kann, was belegt, dass jemand hier gewesen ist, geschweige denn, dass hier jemand eine Frau zu Boden geschlagen und erwürgt hat.«
Seinen logischen Argumenten war nur wenig entgegenzusetzen. Trotzdem. »Er hat seine Spuren verwischt.«
»Vielleicht. Aber wann, bitte schön, soll das gewesen sein? Er hat sie also weggeschleift, sie außer Sichtweite gebracht und kam dann zurück, um seine Spuren zu verwischen – obwohl er gar nicht wissen konnte, bei dem Mord beobachtet worden zu sein.«
»Vorausgesetzt, er hat Reece nicht gesehen.«
Jetzt holte Rick seine eigene Sonnenbrille hervor, sah erst auf das Wasser und dann hoch zu dem Wanderweg. »Na gut, sagen wir, er hat sie gesehen. Er hat es geschafft, in der halben Stunde, die ihm noch blieb, von der Bildfläche zu verschwinden. Vielleicht hatte er dazu auch vierzig Minuten Zeit. Trotzdem, sehr überzeugend hört sich das für mich nicht an.«
»Glaubst du, sie lügt? Glaubst du, sie hat sich das Ganze einfach nur ausgedacht? Aber warum sollte sie?«
»Ich glaube nicht, dass sie lügt.« Rick schob seinen Hut in den Nacken und kratzte sich die Stirn. »So einfach ist das nicht, Brody. Als ich euch gestern erst bei dir und dann bei ihr gesehen habe, dachte ich, ihr hättet was miteinander. Ich dachte, du wüsstest Bescheid über
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