Verschlungene Wege: Roman (German Edition)
dermaßen die Zähne ausbeißen musste, während ihm andere nur so in den Schoß fielen.
»Hallo Linda-Gail!«
»Hallo!« Sie unterbrach ihre Arbeit nicht.
»Was machst du da?«
»Ich gönne mir gerade eine Gesichtsbehandlung inklusive Pediküre. Oder nach was sieht das hier wohl aus?«
Er verdrehte nochmals die Augen, stieg aus dem Wagen und ging zu ihr hinüber. »Hast du heute frei?« Er hatte bereits einen Blick auf ihren Schichtplan geworfen und wusste Bescheid.
»Stimmt genau. Und du?«
»Wir haben ein paar Gäste, aber die gehen heute auf Kajaktour. Hast du Reece gesehen?«
»Nein.« Sie klatschte die Farbe derart heftig auf das Holz, dass es spritzte und er zur Seite springen musste.
»Pass auf.«
»Geh mir aus dem Weg.«
Was für eine Zicke, dachte er. Keine Ahnung, warum er sich immer wieder aufs Neue von ihr demütigen ließ. »Ich wollte bloß mal hören, wie’s ihr geht, mehr nicht.«
»Deine Ma hat gemeint, ich soll sie in Ruhe lassen, also lasse ich sie in Ruhe.« Sie ließ seufzend den Pinsel sinken. »Trotzdem wüsste ich nur zu gern Bescheid. Das ist eine scheußliche Sache.«
»Scheußlich, ja«, wiederholte er und schwieg einen Moment. »Aber irgendwie auch aufregend.«
»Und ob!« Sie wirbelte herum und sah auf ihn hinunter. »Meine Güte, sind wir krank! Trotzdem, Wahnsinn, ein Mord! Bebe glaubt, dass es Bankräuber waren, die sich um die Beute gestritten haben. Deshalb hat er sie umgebracht. Und jetzt hat er das ganze Geld für sich.«
»Eine Möglichkeit von vielen.«
Sie nahm den Pinsel herunter und lehnte sich gegen die Leiter. »Meiner Meinung nach hatten die beiden eine Affäre und wollten an dem bewussten Tag gemeinsam abhauen. Doch dann hat sie es sich anders überlegt, wollte zu ihrem Mann und den Kindern zurück, und er hat sie umgebracht: Mord aus Leidenschaft.«
»Klingt auch nicht schlecht. Er hat die Leiche mit Steinen beschwert und in eine alte Biberburg gestopft.«
»Iiih, ist das eklig. Schlimmer, als sie hier irgendwo zu vergraben.«
»Sehr wahrscheinlich ist das ohnehin nicht.« Er lehnte sich ebenfalls gegen die Leiter. Er konnte die Farbe riechen, aber auch, womit sie sich heute Morgen eingecremt hatte. »Dazu müsste er erst einmal wissen, wo es hier alte Biberburgen gibt. Ich glaube nicht, dass sie von hier waren. Wie dem auch sei, der Kerl ist längst auf und davon.«
»Wahrscheinlich schon. Aber das macht es für Reece auch nicht besser.« Sie malte weiter. In ihrer jetzigen Position befand sich ihr süßer Po genau auf seiner Augenhöhe.
Er bräuchte sich nur ein paar Zentimeter vorzulehnen, und dann …
»Ich nehme an, du willst bei ihr vorbeischauen, sehen, wie es ihr geht.«
»Bei wem?« Er blinzelte, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. »Ach so, bei Reece. Keine Ahnung. Das hatte ich eigentlich vor, aber nur, wenn du mich begleitest.«
»Deine Ma hat gesagt, ich soll Reece heute lieber in Ruhe lassen. Außerdem bin ich gerade am Streichen. Ich muss das erst fertig machen.«
»So wie du dich anstellst, dauert das noch den ganzen Vormittag.«
Sie sah sich um. »Ich hab noch einen Pinsel, du Klugschei ßer. Du kannst dich hier gern nützlich machen, anstatt nur blöd rumzustehen.«
»Heute ist mein freier Tag.«
»Meiner auch.«
»Mist.« Besonders viel Lust auf Malerarbeiten hatte er eigentlich nicht gerade. Aber da er sonst nichts groß mit sich anzufangen wusste, sagte er: »Na gut, ich helf dir.« Er griff nach dem Pinsel, an dem immer noch das Preisetikett klebte. »Falls wir hier jemals fertig werden, könnten wir noch zur Ranch rausfahren. Ich könnte uns ein paar Pferde satteln. Es ist ein schöner Tag zum Ausreiten.«
Linda-Gail lachte in sich hinein, während sie weiterpinselte. »Wer weiß. Es ist ein schöner Tag.«
umwege
Schmerz – eine große Leerstelle.
Denn man weiß nie genau,
wann er begann und ob man je
auch ohne ihn gelebt.
EMILY DICKINSON
11
In ihrer nächsten Pause wollte Reece schleunigst hoch in das Apartment. Sie benutzte den Schlüssel, den Mac im Joanie’s abgegeben hatte, um den neuen, stabilen Türriegel aufzuschließen.
Schon das laute Klicken gab ihr ein gutes Gefühl. Sie probierte ihn ein paarmal aus und seufzte erleichtert.
Aber sie musste sich beeilen, die Marinade machen und das Fleisch darin einlegen, bevor sie wieder runtermusste, um ihre Schicht zu beenden.
Auf der Küchentheke lag ein Zettel mit der klaren, ordentlichen Handschrift von Mac. Er war mit der neuen
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