Verschollen
kleines Stärkemal auf dem linken Arm hatte, das mittlere und das große fehlten. Auch auf dem rechten Arm erkannte er einige Male wieder, doch auch hier waren große Lücken dazwischen.
Sie bemerkte seinen Blick und lächelte. »Du siehst schon, ich kann dir nicht viele Zauber zeigen. Man sagt, ausgebildete Paladine können einige hundert Zauber wirken, aber ich weiß nicht, wie man sich all die Kombinationen merken soll. Ehrlich gesagt habe ich mit den wenigen, die ich wirken kann, schon Probleme. Was soll ich dir denn zeigen?«
»Die Stärkemale kenne ich schon und Martin hat mir den Lähmzauber und den Lichtzauber gezeigt. Und als wir unterwegs angegriffen wurden, da …«
»Angegriffen?« Tiana machte große Augen.
Tristan nickte und erzählte ihr die Geschichte. »Wie nennt man diesen Zauber, mit dem ich den Wolfsmenschen weggeschleudert habe?«, fragte er, als er geendet hatte.
»Das war die Schockwelle. Den Zauber kann ich nur in schwacher Form wirken. Hier diese beiden brauchst du dafür. Normalerweise benutzt man diesen Zauber immer zusammen mit einem Schild, damit man nicht selber von der Schockwelle umgeworfen wird. Der Schild ist meine Spezialität«, erklärte sie stolz und zeigte ihm die Male.
»Und wie funktioniert das? Ich meine, was macht dieser Schild? Wehrt er nur Zauber ab?«
»Nein, alles. Pass mal auf.« Sie berührte ihr Stärkemal sowie die für den Schildzauber und hob die Hand. »So, und jetzt schlag mich.«
»Was? Aber …«
»Mach schon, es wird nichts passieren.«
Tristan zuckte die Schultern und schlug locker nach ihrem Arm. Doch seine Hand prallte einige Zentimeter darüber ab. Es fühlte sich an, als hätte er auf eine weiche, aber unnachgiebige Membran geschlagen, seine Hand federte einfach zurück, ohne dass es wehtat.
»Siehst du. Der Schild umgibt mich wie eine Kugel, wenn ich die Hand so halte. Man kann ihn aber auch woanders erzeugen, z.B. über einer Gruppe von Kämpfern an der Front. Man selbst wird dadurch nicht eingeschränkt.« Sie knuffte ihn spielerisch in die Seite. »Aber man kann nicht getroffen werden. Allerdings kostet das Ganze viel Kraft. So einen Schild kann ich nicht lange aufrecht erhalten, dann muss ich mich ausruhen. Deshalb trainieren wir hier auch viel Ausdauer.«
Tristan nickte verstehend. »Und heilen? Wie geht das?«
Tiana setzte gerade zu einer Erklärung an, als ein anderes Mädchen um die Ecke stürmte. »Ach hier steckst du, Tiana«, platzte sie außer Atem hervor. »Ich suche … Oh«. Sie verneigte sich hastig, als sie Tristan erkannte.
Ihm stockte der Atem bei ihrem Anblick. Sie war eine wahre Schönheit, obwohl sicher kaum älter als Tiana, doch schon deutlich reifer. Ihre aristokratischen Züge mit hohen Wangenknochen und schmaler Nase hätten auch einem Model gut gestanden. Die blonden Locken hatte sie mit einem Tuch gebändigt. Sie hatte lange, schmale Beine und unter ihrem Hemd wölbten sich schon deutlich weibliche Kurven. »Vergebt mir. Meister Johann schickt mich, Tiana zu suchen, allerdings nur, weil er sie nach euch fragen wollte. Wenn ihr bitte mit mir kommen wollt.«
Tristan stand auf und folgte ihr. »Das ist meine Freundin Vinjala«, erklärte Tiana neben ihm laufend.
»Hallo«, grüßte Tristan, der erst jetzt seine Stimme wiedergefunden hatte.
Vinjala warf ihm einen schüchternen Blick zu und nickte knapp, sagte aber nichts, sondern eilte ein paar Schritte voraus, um die Tür zum Ratssaal zu öffnen. Sie blieb zusammen mit Tiana draußen und schloss die Tür hinter Tristan, nachdem er eingetreten war.
Johann saß allein auf seinem Sessel, vor sich auf dem Tisch eine Pergamentkarte. Er winkte Tristan zu sich und bedeutete ihm, sich zu setzen. »Du hast dich gut erholt, hoffe ich?«
»Ja, Meister.«
»Lass nur, Tristan. Johann genügt völlig. Ich habe auch nach Martin geschickt, aber er schlief noch, es wird wohl eine Weile dauern, bis er kommt. Sag, wie ernst steht es um deine Schwester?«
»Sie liegt im Koma und die Ärzte haben gesagt, wenn sie in den nächsten Tagen nicht zu sich kommt, würden sie empfehlen, die Maschinen abzuschalten. Meine Mutter hofft, dass mein Vater …« Er sprach den Satz nicht zu Ende und sah Johann fragend an.
Der seufzte. »Ich kann es nicht versprechen, dass er ihr helfen kann, Tristan. Hier vermögen wir mit unseren Zaubern viel zu vollbringen und wir wissen, dass nach einem langen Aufenthalt diese Kräfte auch auf der Erde noch eine Weile anhalten, ehe die Male verschwinden.
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