Verschollen am Mount McKinley - Alaska Wilderness ; 1
die Täler zogen und Elche und Karibus über weite Hänge wanderten. Ein Paradies, überwältigend schön und eindrucksvoll, aber auch gefährlich, wenn man die Wildnis nicht gewohnt war.
Gary war kleinlaut geworden, ertrug mannhaft seine starken Schmerzen und versteckte sein Gesicht hinter einer getönten Schutzbrille. Nur an seiner leicht geduckten Körperhaltung und der Art, wie er sich immer wieder an seinen verletzten Arm griff, erkannte man, wie sehr er litt. Chris war ohnehin kein Freund großer Worte. Die Linakers hatten ihnen nichts von dem Unfall erzählt, und obwohl sie gemerkt haben mussten, dass Mike keinen Anorak trug, stellten sie keine Fragen. Die Begegnung mit Nick Harmon musste sie so geschockt haben, dass ihre Gedanken nur noch darum kreisten, möglichst bald aus seiner Schusslinie zu kommen. Auch sie blickten sich ständig um.
Nachdem sie ungefähr eine Stunde gegangen waren, ließ das Schneetreiben nach. Immer weniger Flocken trieben über den vereisten Fluss, und auch der Wind legte eine längere Pause ein und begnügte sich später, als er wieder aufkam, mit einigen frischen Böen. Es war immer noch kalt, vielleicht sogar kälter als zuvor, aber am Himmel waren wieder einige Sterne zu sehen, und man sah selbst in der Dunkelheit, wie sich die schweren Wolken verzogen.
Julie nahm ihre Schutzbrille ab und verstaute sie in einer Anoraktasche. Als sie stehen blieb und sich umdrehte, tauchte ihre Stirnlampe die Gesichter der anderen in blasses Licht. »Jetzt haben wir nichts mehr zu befürchten«, sagte sie erleichtert. »Die Hubschrauber starten sicher gerade und brauchen nur ein paar Minuten bis zur Blockhütte. Wenn Search & Rescue und Law Enforcement zusammenarbeiten, hat Harmon nichts mehr zu lachen. Die brauchen sicher keine zehn Minuten, um ihn einzufangen. Und Scott werden sie auch finden. Ich wusste doch, dass die Sache noch ein gutes Ende nimmt.«
»Und wir?«, meldete sich Gary erstmals wieder zu Wort. Seine Stimme klang weinerlich. »Müssen wir ewig warten, bis sie uns hier rausholen?«
»Keine Bange. Sie bekommen schon noch rechtzeitig Ihre Spritze.«
»Spritze?«
Julie fand keine Zeit mehr, den jungen Mann über ihren Scherz aufzuklären und ihm zu versichern, dass sich der Chefarzt persönlich um ihn kümmern würde. Aus der Ferne drang das vertraute Brummen des Snowmobils an ihre Ohren. Es wurde ständig lauter und ließ sie ängstlich nach Süden starren.
»Harmon kommt!«, erschrak Gary. »Was machen wir jetzt?«
»Der Mistkerl wird versuchen, uns alle aus dem Weg zu räumen!«, warnte Chris.
»Die Lampen aus!«, rief Julie und rannte bereits auf einige Felsbrocken am östlichen Ufer zu. Besonders groß waren sie nicht. »Geht in Deckung!« Sie riss ihr Funkgerät aus der Halterung und rief die Zentrale. »Die Hubschrauber! Wir sind auf dem Fluss südlich der Hütte! Harmon ist hinter uns her! Er ist bewaffnet! Kommt schnell!« Sie hatte keine Ahnung, ob man sie in der Zentrale oder irgendwo sonst hörte und ob man die Piloten der Hubschrauber informierte, aber was sollte sie sonst tun? Die Hubschrauber waren ihre einzige Chance.
Die Felsen boten kaum Deckung. Wenn Harmon es darauf anlegte, würde er jeden einzelnen von ihnen töten, denn hinter ihnen ragte das vereiste Steilufer empor, gegen den sich jeder Körperteil, der zwischen, neben oder über den Felsen hervorragte, als Schatten abhob. Sie saßen auf dem Präsentierteller, nur mangelhaft gegen eine Kugel geschützt, und konnten nur noch beten.
Das Motorengeräusch schwoll langsam zu einem leisen Dröhnen an, war höchstens noch eine Meile entfernt, so genau konnte Julie das nicht einschätzen. In der Wildnis klang vieles anders. Nicht mehr lange, und Harmon würde sie entdecken. Das Ende des Sturms, eben noch ein Geschenk des Himmels, wurde plötzlich zum Fluch. In der klaren Luft bot selbst die Nacht kein Versteck mehr. Das wenige Licht, das vom Himmel fiel und vom Schnee reflektiert wurde, reichte aus, um Harmon ein einfaches Zielen zu ermöglichen.
Als heimlichen Trumpf hatten sie nur die Überraschung auf ihrer Seite. Er würde es nicht nur mit Gary und Chris, sondern auch mit den Linakers und ihr zu tun bekommen. Selbst wenn sie keinen einzigen Schuss abfeuerten, schreckte er vielleicht davor zurück, fünf Menschen zu ermorden. Verlassen konnten sie sich darauf aber nicht. Das dachte wohl auch Mike, als er seinen Revolver aus der Tasche zog und mit geübten Griffen das Magazin überprüfte.
»Sie haben
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