Verschollen im Taunus
Maria überlassenen Twingos war doch recht übersichtlich – würde, falls tatsächlich etwas übrig bleiben sollte, sicher war er sich da nicht, in der Vorratskammer verschwinden.
Zum Glück war das Gewitter, das in einigen Taunusgemeinden wütete, nördlich an Frankfurt vorbeigezogen. Doch auch so wäre es nicht weiter tragisch gewesen. Der von ihm selbst gebaute Steingrill sowie die Veranda seiner Gartenlaube waren überdacht. Schon beim ersten Versuch war das von einem Zeitungspapierknäuel unterlegte Feuerholz entzündet. Die Rauchsäule war weithin sichtbar. Schmidt-Schmitt warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Roland Stipp würde wie immer pünktlich eintrudeln. Er rechnete kurz nach: Ja, wenn alles gutging, könnte er seinem Gast das Steak gleich nach dessen Erscheinen servieren. Er trank sich schon mal warm.
Dagmara Lakomy war eine Frau der Tat. Während der Samtenen Revolution hatte sie ihren Hof als Unterschlupf und Versteck zur Verfügung gestellt. Auch kleinere Wunden hatte sie versorgt. Ärzte waren für sie allesamt Scharlatane. Ihre Kinder hatte sie unter Ausschluß ärztlicher Aufsicht geboren. Außerdem war sie gottgläubig bis zum Abwinken. Bei der Wahl Johannes Pauls zum Papst hatte sie 1978 eine überdimensional große polnische Flagge am Fenster gehißt. Sie war eine Polin durch und durch. Revolution und Abendmahl waren dort keine Gegensätze, ganz im Gegenteil, beides zusammen galt als polnische Spezialität.
So zögerte sie auch nur kurz, als sie Herrn Schweitzer, der durch den Regen nicht mehr ganz wie ein Dreckspatz aussah, vor ihrer Haustür liegen sah.
Trotz ihrer Tatkraft war es kein leichtes Unterfangen, den fremden Herrn, der obendrein seine Mitarbeit verweigerte, in den Flur zu zerren. Für etwas schwerere Gegenstände hatte ihr Enkel eine kleine, aus einer dicken Bohle bestehende Behelfsrampe gezimmert, über die man problemlos vollbepackte Schubkarren ins Haus fahren konnte. Diese kam nun zum Einsatz. Und doch dauerte es eine knappe Viertelstunde, bis Herr Schweitzer auf einer rauhen Umzugsdecke im Trockenen lag.
„Schlaf gut“, sprach Frau Lakomy voller Nächstenliebe zu Herrn Schweitzer, dem Shooting star unter den Waldgeistern.
Die Steaks waren allesamt verputzt, das bacchantische Treiben hatte Fahrt aufgenommen. Die verglühende Grillkohle sandte nur noch schwache Rauchschwaden in den Frankfurter Abendhimmel. Sowohl der Oberkommissar als auch der Sportjournalist strebten, aus unterschiedlichen Gründen, ein und demselben Ziel entgegen, welches da Vollsuff hieß. Schmidt-Schmitt wollte für kurze Zeit den Sorgen um Herrn Schweitzer entfliehen, Roland Stipp steckte wie jedes Jahr in der Sommerpause der Bundesliga in einer tiefen Depression. Er hatte sein Hobby zum Beruf gemacht, war zudem selbst ein recht passabler Kicker, doch so kurz nach der Europameisterschaft herrschte eine gähnende Leere in der Berichterstattung. Lediglich Transferaktivitäten auf dem Spielermarkt sorgten gelegentlich für Kurzweile, aber die Zeitungsartikel darüber waren für ihn die reinste Routine ohne irgendwelche geistigen Anforderungen an Stil oder Inhalt. Wie allen Fußballfans war für ihn die Durststrecke bis zum Bundesligastart eine Qual ohnegleichen. Wenn Roland nicht gerade für die Frankfurter Neue Presse schrieb, galt sein besonderes Augenmerk Zico, einem kleinen, aber feinen Fußballmagazin, das sich mit Geschichten und Geschichtchen rund ums Leder aus der Rhein-Main-Region befaßte. Dort war er Chefredakteur. Kennengelernt hatten sie sich im Eichkatzerl in der Dreieichstraße, keinen Kilometer Luftlinie von Mischas Gartenhütte entfernt. Seitdem mußte der Oberkommissar stets dann bei Freundschaftsspielen im Zico-Team aushelfen, wenn gerade Not am Mann war. Schmidt-Schmitts Fußballkünste waren doch recht überschaubar. Er wurde nur dann aufgestellt, wenn alle anderen Optionen bereits ins Wasser gefallen waren.
Wie es sich für einen echten Männerabend gehörte, quatschte man über Frauen, deren überzogene Anforderungen ans männliche Geschlecht und wie und daß man doch besser ohne sie auskäme – übrigens die gleichen Themen wie bei Kaffeekränzchen, nur halt andersrum. Die Lokalpolitik kam ebenfalls nicht zu kurz und zwischendurch machte man viel Gebrauch vom Flaschenöffner. Nur gut, daß der Oberkommissar quantitativ vorgesorgt hatte. Hin und wieder nieselte es und von der nahen Offenbacher Landstraße drangen die Lichtkegel vorbeifahrender Kraftfahrzeuge in die
Weitere Kostenlose Bücher