Verschollen im Taunus
war. Beides kam öfter vor.
Kurz bevor sie umständlich in ihre Schlafsäcke schlüpften, kam noch Karlo Kölner von der benachbarten Motorradgang angewankt und fragte nach Alkohol. Zutaten, Menge und Einkaufspreis seien völlig piepe. „Hauptsache, was zu schlucken.“
Er bekam ein paar Bierflaschen und mäanderte von dannen. Aber das ist eine andere Geschichte.
In Sachsenhausen brodelte die Gerüchteküche. Mehr als anderswo und mehr als Religion gelten hier seit jeher der Tratsch und das Dummrumgebabbel als des Volkes Opium. Eigentlich hatte es die Wirtin vom Weinfaß nur gutgemeint, als sie all ihre Gäste nach Simon Schweitzer gefragte hatte. Sie wollte doch bloß Maria von der Heide behilflich sein.
Ortsfremde würden heftig mit den Ohren schlackern, könnten sie nachverfolgen, was die hiesige Bevölkerung in Berthas leichthin gestellte Frage so alles hineininterpretierte. Harmlos war noch, Simon Schweitzer sei untergetaucht, weil ihm das Finanzamt auf den Fersen war. Einen sechsstelligen Betrag sei er dem Staat schuldig – ‚auf Ehre und Gewissen.‘ Nur zwei Stationen brauchte es, dann wurde daraus die Vermutung, nein, die Gewißheit, schließlich habe man es aus erster Hand, der gute Simon sei sehr nahe dran, einen Finanzskandal aufzudecken, der wahrscheinlich einen Regierungsumsturz bewirke. Nahezu hanebüchen war dann die vorerst letzte Version, der liebe Herr Schweitzer müsse untergetaucht sein, weil ihm Steuerfahnder nach dem Leben trachteten, er habe Beweise in der Hand, das Finanzamt schone hochkarätige Steuersünder, auf daß sie weiterhin ihren Firmensitz der Gewerbesteuer wegen in Frankfurt behalten. (Falls der Leser jetzt tatsächlich glaubt, daß sei in der Tat hanebüchen, so sei dem Naivling gesagt, daß genau das von engagierten Journalisten inzwischen aufgedeckt wurde. Der Autor dieses Buches hat davon schon seit Jahren Kenntnis. So wurden nämlich fast alle Steuerfahnder versetzt, die seinerzeit, Mitte und Ende der 90er, damit beschäftigt waren, die in Frankfurt ansässigen Großbanken nach Beweisen für die Beihilfe zur Steuerhinterziehung zu durchsuchen. Ich hätte auch ‚strafversetzt‘ schreiben können, aber damit wäre ich juristisch angreifbar, also schreibe ich’s lieber nicht – ich bin ja nicht blöd).
Und alle diese Gerüchte brachen nun auf Maria ein, als sie etwa zur selben Zeit, als Mischa und Roland ihre Steaks grillten, ins überfüllte Weinfaß trat, um ein wenig Trost zu finden. Anwesend waren, wie stets zum Saturday-night-fever, ihre Freundin Karin, Weizenwetter, beide noch immer miteinander liiert, der Ebbelwei-Kellner Buddha Semmler vom Dautel, die tüchtigen Streifenpolizisten Frederik Funkal und Odilo Sanchez sowie deren Kollegin Maren, außerdem noch die üblichen Verdächtigen und ein paar, wenn auch nur wenige, fremde Gesichter, die der Besetzung einen kosmopolitischen Charakter verliehen.
„Was ist denn jetzt mit Simon? Hat er tatsächlich so viele Schulden?“ Buddha Semmler.
„Wenn Ihr Hilfe braucht … von wegen Untertauchen und so …“ Karin.
„Jetzt laß doch mal. Ich weiß was viel Besseres …“ Weizenwetter.
„Wir sind zwar Bullen, aber wir kennen Simon doch schon so lange, der mäscht nix Unanständiges. Also ehrlich, ich würde sogar meinen Sheriffstern für deinen Freund opfern, ich schwöre.“ Frederik Funkal, die Hand zum Schwur erhoben. Natürlich wußte der Polizist von der Vermißtenmeldung Herrn Schweitzer betreffend, aber ob der Gerüchteküche war er zu dem Schluß gekommen, es könne sich auch um eine als Vermißtenmeldung getarnte Suchmeldung handeln.
„Klar.“ Odilo.
„Superklar.“ Maren.
„Ich hätte da ein Haus in Spanien …“ Unbekannte Stimme vom Nachbarfaß – im Weinfaß wurden leere Weinfässer als Stehtische verwendet.
Maria war einerseits überwältigt vom Zusammenhalt, andererseits galt es, hier einiges ins rechte Licht zu rücken. Obschon ihr die sehr speziellen Mechanismen der Informationsweitergabe in Sachsenhausen nicht unbekannt waren, fragte sie sich, welche Schulden und wieso Untertauchen. Sie hoffte doch, ihr Simon würde endlich auftauchen. Da war Untertauchen doch irgendwie kontraproduktiv. Mysteriös, sehr mysteriös, das Ganze. „Jetzt seid mal alle ruhig. Bitte.“
Umgehend kehrte Stille ein, zumindest in der unmittelbaren Umgebung. An einem Samstagabend das ganze Weinfaß zum Schweigen zu bringen, wäre ein Ding der Unmöglichkeit gewesen. Obendrein hielten auch deshalb alle ihren
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