Verschollen im Taunus
Schnabel, weil man begierig darauf war, brandneue Informationen direkt von der Quelle zu erhalten. Na ja, auch wenn man es sich nicht vorstellen konnte, daß einem der Ihren etwas Schlimmes zugestoßen sei, ein bißchen waren sie allesamt auch besorgt, was Herrn Schweitzer anging – man weiß ja nie, die heutige Zeit, man hörte so allerhand …
Was blieb ihr auch anderes übrig? Wollte Maria verhindern, daß auf Simon gerüchtemäßig demnächst ein Kopfgeld ausgelobt würde, mußte sie dem auf der Stelle Einhalt gebieten. In kurzen Umrissen gab sie nun ihr Wissen preis. Und, sie wollte es gerne selbst glauben, man gehe davon aus, Simon sei irgendwo in der Gegend um Oberreifenberg im Taunus verschollen, aber wohlauf. Man habe ein Lebenszeichen – ‚Vermißt du mich?‘, das behielt sie aber lieber für sich – erhalten und setze nun alles daran, den Detektiv dort aufzuspüren.
Es kam, wie’s kommen mußte. Im Nu war sich die Bande einig, morgen, da sei ja Sonntag und man habe frei, im Taunus auszuschwärmen, gemeinsam werde man den Simon schon finden, das sei doch gelacht, ein Mann dieser Größenordnung und verschollen, einfach lächerlich das. Wahrscheinlich lächle der Simon einem doch auf jedem Satellitenfoto entgegen. Und wenn man ihn erst habe, dann aber ab ins Weinfaß und die Sau rauslassen.
Den Rest des Abends tat man, als sei man lustig, doch die Sorgen und Spekulationen überwogen.
Ein erneut ziemlich sommerlicher Sonntag Anfang Juli im Jahr der Olympischen Spiele in Peking. Nach einem langen komatösen Schlaf, in dem sich sein Körper im Rahmen seiner Möglichkeiten regeneriert hatte, erwachte Herr Schweitzer.
Mit dem Erwachen war das so eine Sache. Es gab unendlich viele Variationen davon. Unangenehm waren Alpträume und häßliche Geräusche von Weckern, der, zumindest laut Herrn Schweitzer, unangenehmsten menschlichen Erfindung seit dem Fegefeuer. Viele Herzinfarkte hatten ihren Ursprung in diesen schrillen Alarmtönen. Und wer mit dem Leben davonkam, für den war der Tag meist restlos versaut. Sie ertönten auch immerfort genau dann, wenn man gerade dabei war, es sich im Paradies so richtig gemütlich zu machen. Als Prototyp einer optimalen Ruhephase galt landauf, landab der Dornröschenschlaf. Hierbei wurde man von seiner Liebsten, seinem Liebsten mit allerlei zärtlicher Raffinesse wachgeküßt. Doch diese Art war den wenigsten je vergönnt. Ey, alter Saftsack, beweg endlich deinen fetten Arsch, es ist schon Viertel vor, du kommst zu spät zur Arbeit – so begann für die meisten Menschen der Alltag. Da sei mal dahingestellt, ob Herzinfarkt oder Fegefeuer nicht doch die angenehmeren Alternativen waren. Viele dieser beklagenswerten Geschöpfe starben mit dreißig, wurden jedoch erst mit siebzig beerdigt. Dann gab es da noch das Erwachen in der Gosse, eine früher gerade in größeren Hafenstädten sehr gängige Variante, bei der vornehmlich Matrosen die Heuer mehrerer Wochen an einem einzigen Abend verjubelten. Doch statt der Meerjungfrau hielten sie am nächsten Morgen die letzte Rumflasche, leer bis zur Neige, im Arm. Auch noch Schlimmeres wäre denkbar.
Dann hatte es da noch die Reinkarnation, die gerade im asiatischen Lebensraum viele Anhänger hat. Dabei erwachte man als ein anderes Lebewesen. Einzige Voraussetzung hierfür war, daß man tot war. Es war also eine sehr humane Methode, denn selbst der größte Vollidiot und Dösbaddel schaffte es zu sterben. Der Nachteil war, das reinkarnierte Tier richtete sich nach der jeweiligen persönlichen Verhaltensweise des Verstorbenen zu Lebzeiten. War er ein Mensch von größtmöglicher Nächstenliebe, so konnte es passieren, daß er als putziges Miezekätzchen oder vor Kräften strotzender majestätischer Tiger wiedergeboren wurde. Sehr begehrt war auch das Leben als Elefant oder Drache. Hatte der Tote aber ein Leben als Ausbeuter bar jedweden sozialen Gewissens geführt und auch sonst noch allerhand auf dem Kerbholz, mußte man mit der Höchststrafe rechnen und es drohte die Verbannung. Da es aber prozentual nur sehr wenige dieser vollkommenen Nichtsnutze gab, wurde die Höchststrafe auch nur sehr selten ausgesprochen, was man daran erkennen konnte, daß Offenbach doch nur ein kleines Nest ist.
Herr Schweitzer erwachte als Ameise. Das heißt, er fühlte sich als solche in der letzten Traumphase vor dem endgültigen Erwachen. Darüber war er doch ziemlich baff. Er hatte damit noch keine Erfahrungen gesammelt. Es war schon vorgekommen,
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