Verschollen
gehört.« Bernt Larsson schwieg einen Moment. »Anna hat mir davon geschrieben«, fuhr er fort, fast unwirsch so schien es. »Sie fand wohl, dass es spannend war, ein bisschen exotisch. Und das war es zu der Zeit sicherlich auch.«
»Ich habe versucht, dem nachzugehen«, sagte Nielsen. »Und es scheint, als hätte es diese Gruppe von Flüchtlingen nie gegeben. Ich habe zumindest nichts Näheres darüber herausbekommen können. Es gibt auch keine Adoptionsunterlagen von Desirée Härlin.«
Bernt Larsson schwieg erwartungsvoll, und Nielsen fuhr fort:
»Es gibt dafür mehrere Erklärungsmöglichkeiten, soweit ich das sehe. Entweder war sie Inga und Göte Härlins leibliches Kind. Aber das wäre merkwürdig. Warum sollten sie das Kind verleugnen? Zudem deutete ihr Äußeres ja darauf hin, dass dem nicht so war.«
Er hielt kurz inne.
»Und die zweite Möglichkeit: Nun, Inga Härlin hatte gute Kontakte. Sie war nach dem Krieg als freiwillige Helferin tätig gewesen, unter anderem im damaligen Jugoslawien. Und sie hat Anfang der Fünfzigerjahre offenbar mehrere Reisen dorthin unternommen...«
»Wollen Sie damit etwa behaupten, dass die Alte das Kind ganz einfach direkt importiert hat?«, unterbrach ihn Bernt Larsson. »Und es ihr dann irgendwie gelungen ist, sie im Einwohnermeldeamt eintragen zu lassen? Wie hätte das gehen sollen?«
»Es gibt immer einen Weg. Wenn man weiß, wie man vorgehen muss. Und Inga Härlin hatte offensichtlich besondere Qualitäten, Dinge in die von ihr gewünschten Bahnen zu lenken.«
Bernt Larsson schien über die Theorie eine Weile nachzudenken. »Das klingt ein wenig weit hergeholt, oder? Wozu sollte das gut sein?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht hatten sie vorher versucht, ein Kind zu adoptieren, und waren gescheitert. Das lässt sich heute nicht mehr genau feststellen. Oder aus einem anderen Grund. Wie Sie wollen!«
Bernt Larsson lachte leise. »Eine ziemlich merkwürdige Familie, nicht wahr?«
»Das hatten Sie schon zu Anfang einmal gesagt, wenn ich mich recht erinnere.«
Es wurde für einen Augenblick still, ehe Bernt Larssons Stimme wieder zu hören war.
»Sicherlich, aber das waren nur Gerüchte. Und das hier - ja, das ist auch nicht viel mehr.« Er verstummte wieder. »Lassen Sie es ruhen«, sagte er schließlich. »Wie es auch immer gewesen sein mag. Was für eine verdammte Rolle spielt das jetzt noch? Es hat keinen Sinn, noch länger darin herumzustochern.«
Dede stand in der Mitte des Zimmers, Blut an Händen und Gesicht. Auch ihre Bluse war voller Blut. Sie hustete und lachte abwechselnd und ließ sich nicht beruhigen. Er hielt sie fest, aber sie riss sich los und brach in neues Gelächter aus, bis das Lachen von einem neuen Hustenanfall erstickt wurde. Er sah hinauf zum Obergeschoss und musste alleine entscheiden, was zu tun war. Göte musste sie gehört haben und kam die Treppe vom Keller hochgestürmt. Sein Blick streifte ihn mit ebenjenem Funken von Abscheu darin, der ihm so vertraut war. Dann erblickte er Dede und blieb abrupt stehen.
Es war ganz einfach gewesen. Ein Griff um seinen Arm und ein heftiger Stoß ließen ihn rücklings taumeln und dann die steile Treppe hinunterstürzen. Er landete mit dem Kopf auf dem Betonboden. Ein dumpfes Knacken war zu hören, als er landete. Eine Weile noch zuckten seine Arme und Beine, ehe er bewegungslos liegen blieb, der Hals in einem spitzen Winkel verdreht. Sein Kopf ruhte auf der Schulter, es sah irgendwie grotesk aus, als würde er gar nicht zum Körper gehören, sondern nur zum Spaß dort hingelegt worden sein.
Dede lachte ununterbrochen, hatte immer größere Schwierigkeiten, Luft zu bekommen. Aus ihrer Lunge kamen pfeifende Geräusche. Er hatte einen Blick hinunter auf den leblosen Körper auf dem Kellerboden geworfen. Und er wusste, dass von jetzt an alle Verantwortung auf seinen Schultern lag.
Er ging in der Wohnung umher. Sein Entschluss, sie zumindest fürs Erste zu verlassen, stand fest. Vielleicht würde er später zurückkehren können, das würde davon abhängen, was geschah.
Er würde Nielsen eine weitere Möglichkeit geben, näher zu kommen. Er würde ihm einen Strohhalm reichen und zusehen, wie weit ihn der führte.
Zuvor hatte er bereits alle persönlichen Gegenstände, die auf ihn hinweisen konnten, entfernt. Das war nicht sonderlich schwer gewesen. Eine Reisetasche reichte dafür aus. Die technische Ausrüstung verstaute er in ein paar Kartons und stellte sie hinaus in den Flur. Er würde die Nacht
Weitere Kostenlose Bücher