Verschollen
er näher. Nielsen erkannte, dass er nichts erreicht hatte, dass er niemals auch nur ein einziges Wort aus ihm herausbekommen würde. Der Kerl hatte ihn nur still beobachtet, berechnend, ehe er seinen Entschluss fasste. Jetzt kam er näher. Nielsen bemerkte einen Gegenstand, der in die Luft gehoben wurde, so wie man eine Axt hebt, und krümmte sich zusammen. Er versuchte mit den Armen seinen Kopf zu schützen, wissend, dass dies vollkommen nutzlos sein würde.
Alles um ihn herum explodierte, und er wusste, dass ihn der Schlag schon getroffen haben musste. Dennoch konnte er noch immer sehen, erblickte für den Bruchteil einer Sekunde das Gesicht des Mannes, bevor es sich auflöste. Dann kam das Geräusch, eine gewaltige Erschütterung des Trommelfells. Er presste seine Hände an die Ohren und schrie, ohne seine eigene Stimme hören zu können. Er hatte die Kontrolle verloren. Alles war nur noch ein sich in die Länge ziehender, unerträglicher Schmerz.
Jemand beugte sich über ihn, und er starrte in Bernt Larssons Gesicht. Sah, wie seine Lippen sich bewegten, lautlos, wie er sich wieder aufrichtete, mit unverstelltem Erstaunen auf sein kaputtes Bein zeigte und den Kopf schüttelte.
Seine Lippen bewegten sich erneut, und Nielsen begriff, dass er aufstehen sollte. Mit Larssons Hilfe kam er schließlich auf die Beine, stützte sein Gewicht schwankend auf dem rechten Bein ab und spürte mit einem Mal die Arme des anderen an Rücken und Oberschenkel. Er versuchte noch zu rufen, dass dies niemals gehen würde, aber da hatte Bernt Larsson ihn schon mit einem Ruck hochgehoben, ihn durchs Wohnzimmer getragen und im Schlafzimmer aufs Bett gelegt.
Er wandte den Kopf und konnte schemenhaft den Körper erkennen, der ausgestreckt an der Tür zum Flur lag, wie ausgegossen und ohne Gesicht.
Er hatte das Gefühl für Raum und Zeit verloren. War in einen Zustand von Schlaf und Dämmer gefallen. Ab und zu gelangte er an die Oberfläche und erinnerte sich an die Geschehnisse, wusste aber, dass er alles nur träumte, es sich einbildete. Der Schmerz kam kriechend. Er stöhnte, versuchte sich aufzurichten. Sah das Gesicht vor sich. Verzerrt, ein Affengesicht. Eine Ampulle wurde ihm zwischen die Lippen gepresst. Er schlug um sich, versuchte, sie auszuspucken.
»Nehmen Sie die, zum Teufel. Sie werden es mir danken.«
Die Stimme klang metallisch, vibrierend, wie bei einem elektronischen Spielzeug. Er lachte hysterisch auf. Diese Stimme erkannte er wieder, dachte er. Sie müsste ihn an etwas erinnern. Dann sank er wieder weg. Aber nicht so tief wie zuvor. Er trieb irgendwo unter der Oberfläche, tauchte ab und zu hervor und versank wieder in ein unendliches Dunkel, ergriffen von einer großen Erleichterung und Erlösung. Es war gar nichts geschehen, dachte er. Es konnte nichts geschehen sein. Und nichts existierte mehr. Nicht einmal die Zeit.
Als er das nächste Mal die Augen öffnete, fiel graues Tageslicht durch das Fenster. Seine Haut auf der Stirn spannte. Er tastete mit den Fingern den Verband ab, der stramm an Schläfe und Ohr geklebt war. Ihn überkam Übelkeit, sobald er sich bewegte. Dennoch stützte er sich auf den Ellenbogen und sah sich im Zimmer um. Ein scharfer Geruch nach Reinigungsmitteln hing in der Luft, und es zog, als würde irgendwo ein Fenster offenstehen.
Etwas bewegte sich zu seiner Linken, und er drehte mit großer Mühe den Kopf. Dort entdeckte er Bernt Larsson, der mit grauem, müdem Gesicht zusammengesunken in einem Stuhl saß. Jetzt richtete er sich langsam auf. »Ach, Sie sind aus dem Urlaub zurück?«
John Nielsen starrte ihn verständnislos an.
»Was ist mit ihm geschehen? Mit dem Mann?«, sagte er schließlich mit heiserer, trockener Stimme. »Was haben Sie mit ihm gemacht?«
Bernt Larsson zuckte mit den Achseln. »Ich weiß nichts von einem Mann«, sagte er.
Nielsen schüttelte heftig den Kopf.
»Verdammt, das geht nicht... Man kann nicht einfach... Wir müssen die Polizei benachrichtigen...«
Bernt Larsson sah ihn ausdruckslos an.
»Wozu? Ich habe ihnen auf jeden Fall nichts zu erzählen.«
Nielsen schüttelte wieder den Kopf. »Das ist doch nichts, was man einfach so...«
Er verstummte, suchte nach Worten.
»Man kann das nicht einfach vertuschen.«
»Ach so?«, erwiderte Bernt Larsson, ein kaltes Leuchten in den Augen. »Ich habe niemanden gesehen, der angelaufen kam und gefragt hat, was passiert ist. Haben Sie das? Glauben Sie, dass noch jemand kommen wird?«
»Verdammt, Larsson«,
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