Verschwiegen: Thriller (German Edition)
ich dir schon gesagt. Ich weiß nicht, wovon du redest.«
Man muss nur ausreichend Zeit bei Gericht verbringen, und man wird ein Kenner, was Lügen angeht. Man lernt die verschiedenen Formen von Blödsinn zu unterscheiden, den einem die Leute erzählen, wie die Eskimos Schneesorten. Und dieser augenzwinkernde Schwindel meines Vaters Billy, nach dem Motto Ich hab’s nicht getan, aber wir beide wissen, dass das nicht stimmt, nur kannst du’s mir nicht beweisen muss für einen Kriminellen ein besonderes Vergnügen sein. Einem Ermittler mitten ins Gesicht zu lachen! Mein Vater, dieser Mistkerl, ergötzte sich jedenfalls daran. Als Ermittler hat es keinen Sinn, sich mit dieser Mischform aus Geständnis und Leugnen auseinanderzusetzen. Man muss das Ganze einfach als Teil des Spiels akzeptieren. Das ist eben das Dilemma. Manchmal kann man eine Anklage nicht ohne Geständnis beweisen, aber das kriegt man nicht ohne Beweise.
Also nahm ich die Akte von der Scheibe weg und ließ sie auf die Ablage vor mir fallen. »Du alter Narr, du blöder alter Narr. Weißt du überhaupt, was du da angestellt hast?«
»Du nennst mich einen Narren? Ich hab gar nichts angestellt.«
»Jacob war unschuldig! Du Blödmann!«
»Pass auf, was du sagst. Ich muss mir das nicht anhören.«
»Wir hätten auf deine Hilfe gut verzichten können.«
»Ach ja? Dann habe ich mich glatt getäuscht.«
»Wir hätten gewonnen.«
»Und was, wenn nicht? Was dann? Hättest du gewollt, dass dein Junge in diesem Loch hier verkommt? Weißt du, was das hier ist? Ein Grab, eine Müllhalde, ein riesiges Loch, wo alle hineinkommen, die keiner mehr haben will. Außerdem hast du mir damals an dem Abend am Telefon erzählt, dass ihr dabei wart zu verlieren.«
»Du kannst nicht einfach … du kannst nicht …«
»Mein Gott, stell dich nicht so an, das ist ja peinlich. Ich kann dir nicht sagen, was passiert ist, denn ich habe keine Ahnung. Ich weiß nichts, ich weiß nicht, was mit diesem – wie heißt dieser Typ noch mal? Patz? –, also, was mit dem passiert ist, denn ich stecke hier in diesem Loch fest. Woher soll ich also etwas wissen? Aber verlang bloß nicht, dass ich eine Träne vergieße, weil ein Arsch, der sich an Kindern vergreift, umgebracht wurde oder sich selbst umgebracht hat. Schlag dir das ganz schnell aus dem Kopf. Du lieber Himmel! Ein Arschloch weniger, besser so.« Er hielt eine Faust gegen seinen Mund, blies hinein und öffnete dann seine Finger, so wie ein Zauberer, der etwas verschwinden lässt. »Ein Arschloch weniger auf der Welt, das ist alles. Besser für die Welt.«
»Und was ist mit dir?«
Ein wütender Blick. »Ich bin immer noch da.« Er reckte seine Brust. »Mir ist egal, was du von mir hältst. Ich bin immer noch hier, mein Junge, ob es dir gefällt oder nicht. Mich wirst du nicht los.«
»Wie Kakerlaken.«
»Genau, ich bin eine alte, zähe Kakerlake. Und ich bin stolz darauf.«
»Also, was hast du gemacht? Eine alte Schuld eingefordert? Oder einfach mal einen alten Kumpel angerufen?«
»Ich hab’s dir schon gesagt, ich habe keine Ahnung, wovon du redest.«
»Ich habe eine ganze Weile gebraucht, um eins und eins zusammenzuzählen. Ich habe einen Kumpel bei der Polizei, und der hat mir erzählt, dass dieser Father O’Leary ein alter Schläger ist, der sich jetzt auf unauffälligere Geschäfte spezialisiert hat. Als ich es genauer wissen wollte, meinte er: ›Er löst Probleme.‹ Du hast also deinen alten Kumpel angerufen, und er hat das Problem gelöst.«
Keine Antwort. Warum sollte er mir auch mit seiner Aussage helfen? Bloody Billy kannte das Dilemma der Ermittler ebenso gut wie ich: ohne Geständnis keine Anklage; keine Anklage ohne Geständnis.
Aber wir wussten beide natürlich genau, was sich abgespielt hatte. Ich bin sicher, wir stellten uns beide die gleiche Szene vor: Nach einem besonders schlimmen Tag für Jacob klopft Father O’Leary an Patz’ Tür und jagt ihm ein bisschen Angst ein. Er wedelt mit einem Gewehr vor seiner Nase herum und erpresst ein Geständnis. Der Typ hat die Hosen voll vor Angst, und dann knüpft Father O’Leary ihn auf.
»Weißt du, was du Jacob damit angetan hast?«
»Ja, ich habe sein Leben gerettet.«
»Nein. Du hast seinen großen Tag vor Gericht vermasselt, seine Chance, von den Geschworenen ›nicht schuldig‹ zu hören. Von jetzt an wird immer ein Rest Zweifel bleiben. Es wird immer Leute geben, die Jacob für einen Mörder halten.«
Er lachte. Es war kein leises Lachen,
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