Verschwörung beim Heurigen
freundlichere Einschätzung. Sie ließ sich ebenso
zurückfallen, starrte in den dunstigen Himmel und fand ein anderes Thema. Sie seufzte. »Wieso ist das heute so entsetzlich
heiß?«
»Klimaänderung. Wird von Jahr zu Jahr wärmer – das sagen nicht nur die Alten, auch die Winzer, schlecht für die Trauben«,
fügte er rasch hinzu, um seinen Worten mehr Gewicht zu geben. »Ich bin seit fünf Jahren am See. So warm wie heuer war es noch
nie. In den vergangenen Wintern gab’s auch keinen Schnee mehr, aber letzten Winter hatten wir welchen, sogar ziemlich lange,
wohl in ganz Europa, oder? Da braut sich was zusammen.«
»Das behaupten sie seit Jahrzehnten, bisher sind die Katastrophen ausgeblieben, aber die kommen noch«, murmelte sie.
»Das glaube ich auch, aber ich meine hier am See, heute, ich spüre das, sieh dir den Himmel an, die Farbe, bleigrau, schwer,
spürst du, wie die Sonne sticht? Man bräuchte einen Barometer, Hygrometer, eine Wetterstation, werden wir alles haben ... Es wird nicht ganz hell, nicht klar, und dann diese Stille ... gefällt mir nicht. Wart’s ab, heute Mittag ziehen die Wolken auf, Türme werden das, gewaltige Türme. Dann kommt die Sturmwarnung,
alle fahren raus, jeder ist nach dem langen Warten irre geil auf Wind, und dann geht die Post ab, super wird das. Vielleicht
ist heute Abend schon einer ersoffen.«
»Übertreibst du nicht?«, fragte Johanna, »wie kann man ertrinken, wenn der See nur einssechzig tief ist.«
»Wenn der Wind von Süden oder Norden kommt, kann |163| er hohe Wellen aufbauen, die schmeißen sogar große Boote um, ein Surfer hält sich nicht, du wirst nur herumgeschleudert. Er
briest irrsinnig schnell auf, von null auf sieben Windstärken in fünfzehn Minuten, in Böen bis auf acht!«
Das war Musik in Johannas Ohren. Sturm war genau das, was sie brauchte, sich durchpusten lassen, sie würde sich schon in Acht
nehmen. Jetzt aber wollte sie wissen, wie es mit seinem Trainingszentrum weitergehen sollte. Sie wollte mitreden, ihre Zeit
war nicht unbegrenzt, es gab jede Menge Fragen, doch Hansi hielt sich bedeckt. Das Treffen am Vormittag habe damit nichts
zu tun gehabt, sagte er, es sei vielmehr um die Bürgerinitiative gegangen, das monatliche Routinetreffen, um einiges zu besprechen,
Verkehrsplanung, ziemlich langweilig, aber wichtig, da jetzt die Grenzen nach allen Seiten offen seien. Außerdem sei es zu
kompliziert, ihr das bei der Hitze alles »en detail« zu erklären.
Johanna drängte sich der Verdacht auf, dass er sich in Ausflüchten erging, dass er ihr etwas verheimlichte, aber die Zweifel
waren schnell wieder vergessen, es war ihr auch lieber, nicht immer in allem rumzustochern. Das hatte sie jahrelang getan.
Sie wollte nicht immer alles so ernst nehmen, allerdings blieb eine Frage offen: Wieso engagierte sich jemand in einer Umweltinitiative
und arbeitete gleichzeitig an einem Projekt, das mit Sicherheit nicht im Einklang mit den Gesetzen für Naturschutzgebiete
stand? Beugte er so wie sie etwaigen Beschränkungen vor? Das würde sie auch nicht an die große Glocke hängen. Wie man sich
hier zu bewegen hatte, würde er sicher besser wissen, er machte nicht den Eindruck eines Mannes, der ins Blaue hinein plante,
sondern mit seinen schönen kräftigen Beinen fest auf dem Strand oder dem Surfbrett stand, wie sie gesehen hatte.
Er machte die Liege für sie frei, brachte ihr einen Cappuccino und ließ sich neben ihr fallen. »Ein Tag wie heute kostet mich
bares Geld. Die Leute sind angefressen, dass sie nicht surfen können. Niemand leiht sich eine Ausrüstung. |164| Es kommt auch keiner auf die Idee, sich zum Kurs anzumelden. Pass auf, nachher werden sie sich alle wie die Bekloppten ins
Wasser stürzen. Eine halbe Stunde später kommen sie zähneklappernd zurück. Dann sind sie froh, nicht draußen sein zu müssen.«
Er reckte den Hals und blickte in Richtung Leithagebirge. »Schau, was ich gesagt habe.«
Die ersten Quellwolken drängten über den Höhenzug, dicke Wolkentürme, die langsam, aber stetig in den Himmel wuchsen. Sie
waren von einem strahlenden, blendenden Weiß, das an einigen Stellen in ein helles Grau mit einem gefährlichen Blaustich überging.
»Alles redet vom Treibhauseffekt. Du weißt garantiert, was damit gemeint ist.«
Johanna ließ die Zeitschrift sinken. »Muss das sein?« Die Debatte hatte sie viel zu sehr beschäftigt, als dass sie darüber
noch viele Worte verlieren
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