Verschwörung beim Heurigen
von Beweisen zu konstruieren –»Ihr Mobiltelefon haben Sie absichtlich liegen lassen«–, an deren Ende nur er, Carl Breitenbach, als Mörder von Maria Sandhofer
infrage kam. Und dieser dümmliche Fechter hatte weiter gekippelt und sich mit seinen Fingernägeln beschäftigt.
Im Supermarkt schritt Carl durch die Regalreihen, blickte auf die Packungen, die sich alle ähnelten, und hatte vergessen,
was er kaufen wollte. Das Verhör lastete auf ihm. Es war ein unbekanntes Gefühl, wenn mit einem Schlag das Private ans Licht
gezerrt wurde, man meinte ja fälschlicherweise immer, dass es einem selbst gehörte und niemanden etwas angehe. Und das vor
anderen auszubreiten, der Schock, dass die Polizei von Intimitäten wusste, die nur ihn selbst oder Johanna betrafen.
»Ein Mann wie Sie, mit internationalen Erfahrungen und Beziehungen bis nach Brüssel.« Diesen Satz Herrndorffs |177| hatte er im Ohr. Woher wusste der das? Ihn beschlich eine Ahnung, wie sich viele Deutsche nach dem Mauerfall gefühlt haben
mochten, als sie feststellten, dass sie von Nachbarn, Sportsfreunden oder sogar vom eigenen Partner jahrelang bespitzelt worden
waren. Genauso ausgeliefert würden sich viele im Westen vorkommen, wenn der Verfassungsschutz seine Dateien öffnete – Computer
hatten weitaus höhere Speicherkapazität als die Stasi-Zettelkästchen. Vielen würden die Augen aufgehen, vor allem wenn sie
sahen, aus welchen Gründen sie verdächtig geworden waren und wie leicht sich Denunzianten hatten finden lassen. Andererseits
– war seinen Wirtsleuten ein Vorwurf zu machen? Bei Mord hätte er auch gesagt, was er wusste. Außerdem mochte es für viele
ein prickelndes Gefühl sein, sich mit der Macht ins Bett zu legen.
Carl starrte die Wasserflaschen im Supermarktregal an und kam zu sich. Es gab die Kleinen mit dem Schnuller, aus denen er
beim Fahren trinken konnte. Wozu? Er fuhr nicht auf Zeit, er konnte anhalten, er hatte Ferien, aber das berühmte Urlaubsgefühl
wollte sich partout nicht einstellen, nicht der geringste Anflug davon. Den Sommer im Burgenland hatte er sich anders vorgestellt.
Er hatte sich in etwas hineingeträumt, aus dem er beim Aufwachen nicht mehr herauskam; es war nicht wie ein Albtraum, bei
dem man wusste, dass man aufwachen würde. Hier war das Aufwachen schrecklich.
Missmutig griff er nach den kleinen Flaschen und schlich zur Kasse, wo er sich einbildete, dass ihm die Kassiererin beim Zahlen
auf die Finger starrte. Er hatte geschrubbt wie wahnsinnig, aber die Farbe vom Abnehmen der Fingerabdrücke blieb haften. Hielt
die Brünette in dem Kittel ihn jetzt für einen Kriminellen, den man drüben hatte laufen lassen? Schleunigst verließ er das
Einkaufsparadies, klemmte eine Wasserflasche an den Rahmen, eine trank er in einem Zug aus, und die dritte kam in die Umhängetasche.
|178| Die Polizei-Direktion gegenüber zog seinen Blick magnetisch an, und er sah den Verhörraum vor sich. Erstaunlich, wie gut die
Vermieter ihres Apartments aufgepasst hatten. Sie wussten, wann er oder Johanna weggefahren und wiedergekommen waren, sie
hatten ihren Streit fast wortwörtlich mitbekommen und kannten die Gründe dafür. Und mittlerweile wurde, was sich in Bezug
auf Maria lediglich in seiner Fantasie abgespielt hatte, zur handfesten Liebesaffäre aufgebauscht. Hatte Johanna gequatscht?
Nein, sie hatte Erfahrung mit der »Staatsmacht«, wie sie es früher genannt hatte. »Da kommt das Volk«, hatten sie skandiert,
wenn die Polizei anrückte, denn »alle Gewalt ging bekanntlich vom Volke aus«. Und das mit Brüssel – was war über ihn gespeichert?
In gewisser Weise war er Geheimnisträger gewesen. Hatte er die falschen Bücher übersetzt, irgendeine Petition unterschrieben
und einen oppositionellen Schriftsteller getroffen, der unter Beobachtung gestanden hatte? Als Student in Portugal hatte er
beim Prozess gegen Otelo de Carvalho zugehört, einen der militärischen Führer der Nelkenrevolution. Mit ihm und seinen sozialistischen
Experimenten hatte die neue Regierung damals abgerechnet. Und in London hatte er mit Tausenden gegen die Apartheid demonstriert.
Somit war man verdächtig. Nur der linientreue Konsument und vertrottelte Steuerzahler, der jedes Schlupfloch übersah, blieben
unverdächtig.
Carl fuhr in einem kleinen Gang, das war bei der drückenden Hitze weniger anstrengend. An der Ampel zur Schnellstraße, die
um Eisenstadt herumführte, wandte er sich nach
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