Verschwoerung der Frauen
Nellie nach Amerika gehen zu lassen, brach mir das Herz, aber wäre sie bei mir geblieben, sie wäre verdammt wie ich. Wie Emile.«
»Sind Sie immer noch verdammt?« fragte ich. Immer und immer wieder habe ich an diese Frage zurückgedacht und daran, warum ich sie stellte. Sie kam mir wie durch Eingebung. Und Eingebungen gibt es selten: Sie sind eine Form von Telepathie wie eine plötzliche Einsicht oder Offenbarung, die vielleicht nur einmal im Leben vor-kommt und ein ganzes Leben Vorbereitung braucht. Zweifellos hatte mich alles in meinem Leben darauf vorbereitet – mir eingegeben, diese Frage zu stellen.
»Nein«, sagte sie. »Ich bin nicht mehr verdammt. Deshalb war ich damit einverstanden, Sie zu empfangen. Sie sind die Botschafterin.«
Mit meinen knapp Dreißig fragte ich mich natürlich einen schrecklichen Moment lang, ob sie vielleicht verrückt sei. Sie muß diese Zweifel in meinem Gesicht gesehen haben. »Vielleicht mehr 59
als eine Botschafterin«, sagte sie. »Vielleicht eine Freundin. Sie sind genau in Nellies Alter«, fügte sie offenbar zur Erklärung hinzu.
»Möchten Sie Tee?«
Ich freute mich über ihr Angebot – echter englischer Tee, stark und mit Milch. Erst jetzt sah ich, daß sie den Wasserkessel schon aufgesetzt hatte. Wir tranken unseren Tee und sahen einander an. Ich hatte das Gefühl, mir eröffne sich eine neue Welt. So hatte ich noch nie empfunden, nicht einmal während meines Zusammenlebens mit Dorinda. Ich wartete, daß sie zu sprechen begänne, nur um ihre Stimme zu hören. Ob sie etwas Tiefgründiges sagte oder nicht, war mir völlig gleichgültig.
»Foxx behauptete immer, die Engländer machten aus ihrem Tee-trinken eine heilige Handlung. Er hatte recht, was die englischen Bräuche betraf, hatte er immer recht. Tee ist fraglos besser als Wein.
Tee ist niemandes Blut, außer dem der Unterschicht. In Tee ist kein Erlöser mit hineingepanscht.« Sie prustete los. Zum erstenmal sah ich sie lachen. Dann lächelte sie mich an, wie um ihr lautes Prusten zurückzunehmen. Ihr Lächeln war hinreißend und strafte das gestutz-te Haar und die ruinierte, mit winzigen geplatzten Äderchen übersäte englische Haut Lügen. Es war ein liebevolles und intelligentes Lä-
cheln, das so selten ist wie ein großer Rubin. Ich trank meinen Tee, und ein Gefühl reiner Freude überkam mich, wie eine Welle von Wohlbehagen, aber weit intensiver, eben Freude, nehme ich an. Als meine Mutter in die Menopause kam, litt sie unter fliegender Hitze; sie werde von den Hitzewellen förmlich übermannt, so beschrieb sie es – sie ergriffen von ihrem Körper Besitz wie Lust, nur daß fliegende Hitze eben keine Lust ist. Aber ich fühlte mich in dem Augenblick von Lust überkommen.
Wir hatten keine Eile. Beim Eintreten hatte ich meine Tasche mit den Süßigkeiten abgestellt, und ich habe keine Ahnung, was aus meinen Mitbringseln geworden ist. Vielleicht hat Gabrielle sie an die Vermieterin oder ihr »Mädchen« verschenkt? Ich habe Gabrielle nie etwas essen sehen, und sie lud mich auch nie zu einer Mahlzeit ein.
Und ich, ich dachte nicht ans Essen, wenn ich mit ihr zusammen war.
Wir tranken nur Tee, unzählige Tassen Tee. Dort saß ich also, trank meinen Tee und sah mich in dem großen Zimmer um.
Überall waren Papiere verstreut, auf jedem Stuhl, Tisch, sogar direkt neben der Ofenplatte – jede freie Fläche und fast der ganze Boden waren mit Papieren übersät. Fast instinktiv hatte ich mir einen 60
Weg durch die Papierstapel zu dem elektrischen Heizer und den Stühlen gebahnt. An diese Art Unordnung war ich gewöhnt. Dorinda hatte nie etwas aufgeräumt, und am Anfang hatte ich hart mit mir zu kämpfen, um meinen Ordnungssinn, den ich mit der Muttermilch eingesogen hatte, zu zügeln.
Gabrielle schien selbstverständlich davon auszugehen, daß ich, nachdem ich mich umgeblickt hatte, verstehen würde: Dies war keine Unordnung, sondern das Entdecken und Ordnen ihres Lebens.
»Jetzt fallen sie wieder über mich her«, sagte sie. »Alle diese Gelehrten und akademischen Schnüffler auf der Suche nach Briefen, Erinnerungen und Geschichten. Sie sind die einzige, die ich vorge-lassen habe. Die Vermieterin tut, als erweise sie mir einen Gefallen, daß sie mich hier wohnen läßt. Gewiß, vielleicht könnte sie mehr für die paar Zimmer bekommen. Aber ich besteche sie die ganze Zeit mit Geld und allem möglichen (ihre Augen wanderten zu meiner Tasche von Fortnum und Mason hin). Und sie schickt sie alle fort,
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